„Ein Licht in der Finsternis patriarchaler Unterdrückung“
Frauen schreiben über Frauen in der Bibel
Ausgabe: 2003/47
18.11.2003
„Eine Erinnerung, dass Frauen und Männer vor Gott gleichberechtigt sind“ oder „stellenweise unerträglich“ – wie Autorinnen die Bibel sehen.
Die Bibel ist eine Sammlung von Büchern aus sehr unterschiedlichen Epochen und Kulturen. Gemeinsam ist ihnen allen ein patriarchales Grundmuster, das die Tradition über sie gelegt hat. Scheinbar begründet die Bibel den Vorrang des Männlichen in einer Vielzahl mythologischer Bilder und theologischer Aussagen. Über Jahrhunderte hinweg haben überlieferte Lektüreformen viele biblische Schlüsseltexte zu Mythen stilisiert, die männliche Herrschaft als gottgewollte Norm und weibliche Kultur als zweitrangig darstellen – so etwa die Geschichte über das Erkennen von Gut und Böse in Genesis 3.Bunte Vielfalt großer FrauenDementsprechend sind auch die großen Frauengestalten der Bibel, von denen es sowohl im Ersten wie im Zweiten Testament viele gibt, wenig beachtet oder gar vergessen worden: Rut und Ester sind ganze Bücher gewidmet, die in der jüdischen Bibel zu den fünf „Festrollen“ gehören; diese fünf Bücher werden zu bestimmten Festen in der Synagoge gelesen.
In den Evangelien des Zweiten Testaments gibt es auch außer Maria, der Mutter Jesu, eine Reihe von wichtigen Frauengestalten: Maria aus Magdala, der ein eigenes apokryphes Evangelium gewidmet ist, Maria und Marta, die Schwestern des Lazarus, sowie die Frau, die Jesus gesalbt hat (Mk 14 und Paralleltexte). Die Texte bezeugen die Existenz einer Reihe von frühchristlichen Prophetinnen; Lukas etwa nennt in seiner Kindheitsgeschichte Elisabeth, die Mutter Johannes’ des Täufers, und Hanna, die Tochter Phanuels. Geteilte Meinung zur BibelSchriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts haben auf dieses widersprüchliche Bild, das die Bibel bietet, unterschiedlich reagiert. Für die österreichische Schriftstellerin Evelyn Schlag steht die Frauenfeindlichkeit und das Patriarchale der Bibel im Vordergrund und verstellt den Zugang: „Nein, ich muss sagen, dass ich die Bibel schon lange nicht mehr lese und dass sie auch nie als kontinuierliche Begleitlektüre für mich existierte, an der ich mich orientiert hätte oder die mir Impulse gegeben hätte. Während der Arbeit an einem Roman habe ich die eine oder andere Stelle nachgelesen, aber es geschah nie, dass mich diese zweckgebundene Lektüre zum Weiterlesen aufgefordert hätte.“ Im Gegenteil, ihr Urteil fällt vernichtend aus: „. . . das stellenweise unerträglich dumme Textgebilde der Bibel mit ihren Geschichten, beginnend beim Eva-Mythos“.
Andere Frauen sehen aber gerade die Bibel als ein „Licht in der Finsternis patriarchaler Unterdrückung“. Sie finden in ihr die Erinnerung an geschwisterliche Lebensformen aufbewahrt, in denen Frauen und Männer vor Gott gleichberechtigt sind. Wenige, aber wichtige Autorinnen haben Frauengestalten der Bibel ins Zentrum ihrer Texte gestellt: Lyrikerinnen jüdischer Herkunft wie Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs und Rose Ausländer setzten sich in ihren großen Bibelgedichten mit Frauen auseinander; Else Lasker-Schüler zum Beispiel mit Hagar, der verstoßenen Frau Abrahams: „Und die verstoßne Hagar raubte ihren Sohn sich schnell. / Vergoß in seine kleine ihre große Träne“. Grete Weil stellt in ihrem Roman „Der Brautpreis“ Michal, Sauls Tochter und Davids erste Frau, in den Mittelpunkt der Erzählung. Sie verwebt die Geschichte der Königstochter Michal mit den Reflexionen der alten Jüdin Grete. Somit wird Michals Schicksal zum Spiegel für das Leiden einer jüdischen Frau im 20. Jahrhundert, die den Holocaust überlebt hat. Der Roman erzählt von der gebrochenen Identität der Frauen und des Judentums „über die Zeiten hin“: Michal „und ich, verbunden durch die Zugehörigkeit zu einem Volk, das gar kein Volk ist, aber immer eins hat sein wollen: zwei jüdische Frauen.“ Sprach-Gewalt der MännerMaria Magdalena ist mit ihrer legendären Zuschreibung als Sünderin und Büßerin eine Gestalt der Weltliteratur. Viele, vor allem männliche Autoren haben dieses Motiv aufgegriffen und gestaltet: von Friedrich Hebbels Drama „Maria Magdalena“ über Ludwig Thoma und Ödön von Horvath bis zu Franz Xaver Kroetz und George Taboris „Der Babylon Blues“. Mit Ausnahme einiger Gedichte (z. B. Friederike Mayröcker und Kurt Marti) fehlt noch eine überzeugende literarische Umsetzung des neuen, positiven Bildes von Maria Magdalena, das die feministische Bibelkritik erarbeitet hat. Denn der bekannte Roman „Mirjam“ von Luise Rinser kann diese Erwartung nicht erfüllen. Die Makkabäerin Mirjam bleibt doch nur Spiegelfigur für einen Jesus-Roman, der in die Nähe des Kitsches gerät – wenig erinnert darin an die „prophetin einer magdalenischen zeit“ (Kurt Marti).
Josef P. Mautner, Theologe und Literaturwissenschaftler, arbeitet als freier Schriftsteller und in der Katholischen Aktion Salzburg.