Die Erneuerung der Liturgie gehört zu den unübersehbaren Ergebnissen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Anfangs freudig – oft euphorisch – begrüßt, macht sich in den letzten Jahren Ernüchterung breit.
Was war das Neue, das das Konzil für die Liturgie gebracht hat? Volgger: Das Konzil hat die Entwicklungen bestätigt, die sich jahrzehntelang bereits in der liturgischen Bewegung und in der Bibelbewegung gezeigt haben. Die Absicht dieser Bewegungen lässt sich auf folgenden Nenner bringen: Die Gläubigen sollten aktiv und bewusst die Liturgie mitfeiern können; als Kirche vor Ort ist die Gemeinde die Trägerin der Liturgie. Dazu kommt die Möglichkeit der Volkssprache. Das Konzil hat zudem dem Wort Gottes seinen zentralen Stellenwert in der Liturgie zurückgegeben.
Was haben sich die Konzilsväter von der Liturgiereform erwartet? Volgger: In erster Linie eine Vertiefung des religiösen Lebens der Gläubigen. Sie wollten mit der Erneuerung der Liturgie zugleich einen neuen Impuls für das kirchliche Leben setzen.
Haben sie mit dieser Absicht nicht Schiffbruch erlitten? Allein in den letzten zwanzig Jahren hat sich die Zahl der Kirchenbesucher halbiert. Volgger: Ich bin fest überzeugt, dass nicht die Liturgie an diesen Einbrüchen Schuld trägt. Dass die Gemeinschaft der Kirche schrumpft, hat eine Vielzahl von Gründen, die auch im gesellschaftlichen Bereich liegen. Für die erneuerte Liturgie behaupte ich: Sie hat die Voraussetzung gebracht für die lebendige Feier des Glaubens in den Gemeinden. Die Liturgiereform hat viel Bestätigung erfahren und bewährt sich.
Kardinal Ratzinger sieht das anders. Zum Beispiel kritisiert er die zu starke Betonung der Gemeinschaft bei der Feier der Eucharistie, die sich auch im Volksaltar zeigt. Volgger: Kardinal Ratzinger kritisiert nicht, sondern er reflektiert. Er fragt, ob die konkret gefeierte Liturgie vor Ort wirklich deutlich genug erleben lässt, dass Christus die Mitte liturgischen Geschehens ist. Als ein Zeichen der Christusorientierung schlägt er vor, dass Priester und Gemeinde sich nach Osten, zum Altar, hinwenden. Die Konsequenz wäre, dass der Priester wieder mit Rücken zum Volk Gottesdienst feiert. Ich bin aber überzeugt, dass die momentane Lösung um den Altar zu feiern die bessere Form ist. Sie bringt den Gemeinschaftscharakter deutlicher zum Tragen.
Auch Applaus und Tanz gefallen Kardinal Ratzinger nicht. Volgger: Diese Kritik kann ich nicht nachvollziehen. Begeisterung und Anteilnahme müssen ihren Platz im Gottesdienst haben. In Psalm 47 heißt es: Ihr Völker alle, klatscht in die Hände. Klatschen ist ein zustimmender Glaubensausdruck. Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich auch nicht verstehen, warum ein Tanz als Ausdruck des Gebetes und des Glaubens den Gottesdienst stören würde. Wichtig dabei ist, dass eine Gemeinde nicht überfordert wird. Ich habe mit Genugtuung festgestellt, dass beim Papstgottesdienst anlässlich der Heiligsprechung der Missionare Freinadametz, Comboni und Janssens am 5. Oktober während des Gottesdienstes dreimal getanzt wurde: zum Evangelium, zur Gabenbereitung und zum Brechen des Brotes. Zudem gehört der Applaus als Ausdruck der Zustimmung und der Begeisterung fast selbstverständlich zu Gottesdiensten mit dem Papst.
Vor kurzem ließ die Meldung aufhorchen, dass der Vatikan gegen Auswüchse in der Liturgie ein Dokument veröffentlichen will. Zu diesen Auswüchsen sollen zum Beispiel Mädchen als Ministrantinnen gehören. Volgger: Sollten diese Überlegungen wirklich zu liturgischen Vorschriften gegen Ministrantinnen führen, wäre das ein Rückschritt, der pastoral nicht zu verantworten wäre. Vermutlich sind diese Überlegungen aber durch den Sturm der Entrüstung, den sie ausgelöst haben, vom Tisch.
Die Jugendlichen in den Kirchenbänken kann man oft an einer Hand zählen. Warum finden sie die Gottesdienste fad? Volgger: Die Welt der Jugendlichen ist geprägt von Freiheit und der eigenen Vorstellungen über die Verwirklichung des Lebens; Liturgie lebt zu einem guten Teil von der festen Form. Das reibt sich vom Ansatz her. Gemeinden sollten daher den Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich selbst in die Gestaltung der Gottesdienste einzubringen. Es braucht Formen, in denen Jugendliche sich ihrem Alter und ihrer Eigenart entsprechend ausdrücken können. Es geht aber auch um Aspekte, die über die Liturgie hinaus weisen zum Beispiel die Gemeinschaft nach den Gottesdiensten oder die Persönlichkeit des Priesters, der für die Jugendlichen Gesprächspartner ist.
Was ist ein „idealer“ Gottesdienst? Was soll die Liturgie bei Gläubigen bewirken? Volgger: Ich will einige Charakteristika nennen. Entscheidend ist, dass Gläubige sagen können: Meine Beziehung zu Christus ist gestärkt und vertieft worden. Die Mitfeiernden sollen auch in dem Bewusstein gestärkt werden, dass sie und jeder Mensch eine von Gott geschenkte Würde haben. Ich halte die Offenheit für das Wort Gottes, in dem sich Christus selbst mitteilt, als etwas Wesentliches. Die Gemeinde als liturgische Versammlung muss offen sein für die Frage, was das in der Messfeier verkündete Wort Gottes für das Leben bedeutet. Die Mitfeiernden sollen spüren und erkennen, dass die Erfahrungen des Alltags in der Liturgie ihren Platz haben. Die Mitfeiernden mögen erkennen, dass bei allem, was im Gottesdienst geschieht, Christus selbst wirkt und zur Sprache kommt.
Zu den Kirchengeboten gehört die Sonntagspflicht: die Teilnahme am Gottesdienst an jedem Sonn- und Feiertag. Ist das sinnvoll? Volgger: Zur Beziehung mit Christus gehört die Regelmäßigkeit; die liturgische Feier bekommt durch die Regelmäßigkeit auch Vertrautheit im äußeren und inneren Vollzug. Ich halte das Kirchengebot für sinnvoll und für das Leben der Kirche auch als eine wichtige und selbstverständliche Herausforderung.
Wie feiern Sie selbst die Liturgie? Volgger: An den Wochentagen gehe ich entweder in den Dom von Linz, in die Universitätsgemeinde oder in der Ordensgemeinschaft zur Feier der Liturgie. Wenn ich nicht selbst vorstehe, konzelebriere ich. Mir gefällt die Sorgfalt, mit der die Domgemeinde den Gottesdienst gestaltet. Selbst an den Wochentagen sind alle liturgischen Dienste vertreten: Kommunionspender bzw. -spenderinnen, Lektoren bzw. Lektor/innen, Kantor/innen und Ministranten und Ministrantinnen. Zudem wird die Kommunion täglich unter beiderlei Gestalten ausgeteilt. Wenn ich in Linz bin, gehe ich am Morgen auch in den Dom zur gemeinschaftlichen Feier der Laudes; ich bete das Stundengebet nach Möglichkeit in Gemeinschaft. Durch meine Verpflichtungen muss ich am Wochenende häufig zwischen Südtirol, Wien und Linz pendeln; daher habe ich noch keine fixe Sonntagsgemeinde. Diese vermisse ich aber. Eine feste Beheimatung in einer Gemeinde ist wertvoll.
Zur Person:Dr. P. Ewald Volgger OTlehrt seit Oktober 2003 als Professor für Liturgiewisenschaft und Sakramententheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz. Der Priester des Deutschen Ordens stammt aus Bruneck (Südtirol).