Wenn das Fest des Apostels Jakobus (25. Juli) auf einen Sonntag fällt, wird in Santiago de Compostela ein „Heiliges Jahr“ ausgerufen. Heuer ist es wieder so weit.
Als Meinrad Schneckenleithner vor 25 Jahren mit einer Gruppe der Grazer Hochschulgemeinde das erste Mal auf spanischen Straßen zu Fuß nach Santiago de Compostela gepilgert ist, war das ein Programm für vielleicht hundert „Exoten“. Inzwischen stellt das Pilgerbüro jährlich an die 70.000 Urkunden aus, die nur jene bekommen, die mindestens 100 Kilometer zu Fuß gegangen sind. Insgesamt besuchen 4,5 Millionen Pilger jährlich den berühmten Wallfahrtsort an der Nordwestspitze Spaniens.
Auf ein Ziel zu
Bevor er zum ersten Mal nach Santiago aufgebrochen ist, hatte Meinrad Schneckenleithner, Generalsekretär von Pax Christi, schon mache Fußwallfahrt hinter sich. Aber auf dem Camino de Santiago zu pilgern sei doch noch einmal etwas ganz anderes. Wallfahrern im traditionellen Sinn, die betend oder singend des Weges ziehen, sei er auf dem Jakobsweg nie begegnet. „Und doch gibt es immer wieder Situationen am Weg, wo dir in einem Augenblick des Glücks oder der Not und Plage ein Gebet auf die Lippen kommt. Für mich ist das sehr ähnlich wie im Leben auch.“
Die spirituelle Dimension des Jakobsweges sieht Schneckenleithner überhaupt darin, „dass ich Grundsituationen des Lebens wie in einem Brennglas erfahre. Da ist für mich zunächst einmal ganz wichtig, dass der Weg ein Ziel hat. Auch wenn ich nur Teiletappen gehe, bewege ich mich auf einem Boden, auf dem Jahrhunderte hindurch Menschen nach Santiago gegangen sind. Und ich erlebe das sehr stark, wenn ich die vielen Zeugnisse des Glaubens – von den großartigen romanischen Kathedralen bis zu den einfachen uralten Bildstöcken – auf dem Weg antreffe.
Auf dem Weg sein
„Ohne Ziel“, sagt Schneckenleithner, „würde ich mich nicht auf diesen Weg machen.“ Und doch lägen die nachhaltigsten Erfahrungen und Herausforderungen auf dem Weg selber. Da gehe es einmal um das Durchhalten: „Da passiert es schon, dass man tagelang nicht mehr aus den nassen Sachen herauskommt und sich auf schlecht markierten, glitschigen Bergpfaden dahinmüht und sich dabei auch noch verläuft. Oder dass man meint, es gehe keinen Schritt mehr weiter, wenn die Sonne vom Himmel brennt und die Blasen aufspringen. Diese Situationen durchzustehen und nicht aufzugeben, ist für mich auch ein Stück verdichteter Lebenserfahrung.“
Dazu gehöre in einer Zeit, „wo wir meinen, alles berechnen und planen zu können, auch das Ungewisse, dem du auf diesem Weg ausgesetzt bist“, meint Meinrad Schneckenleithner. „Bist du auf dem richtigen Weg? Findest du rechtzeitig ein Quartier? Kommst du mit dem Wasser noch aus bis zur nächsten Ortschaft? Kannst du wo noch Essen kaufen?“
Ganz wichtig auf diesem Weg sei ihm auch die Erfahrung der Rast geworden, meint Schneckenleithner. „Etwas, das wir im Leben oft viel zu wenig schätzen: das Zeitnehmen, obwohl noch ein breiter Weg vor dir liegt, die Dankbarkeit für einen guten Platz im Schatten eines Baumes, Gespräche mit Freunden und zufälligen Weggefährten.“
Auch die Einfachheit habe er auf dem Jakobsweg neu schätzen gelernt. „Es ist verblüffend, mit wie wenig man wirklich auskommen kann. Wir leben nur zu gerne ,all inclusive‘ und denken über den Preis, den wir uns und anderen dafür zumuten, kaum nach.“
Sich öffnen lernen
Der Jakobsweg sei für ihn auch eine Entdeckungsreise zum anderen. „Auf dem Weg begegnest du vielen Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen unterwegs sind, viele auch, weil sie in einer Krise sind oder eine Neuorientierung suchen. Und es ist überraschend, wie rasch man hier zur Sache kommt. Sich anderen anvertrauen, sich für andere öffnen und ein Stück weit miteinander gehen – das ist für mich auch eine Erfahrung von Kirche.“ Deshalb, so Schneckenleithner, sei er auch nie alleine, sondern immer in einer kleinen Gruppe unterwegs. „In Santiago anzukommen, das ist ein eindrucksvolles Erlebnis. Eingegraben haben sich in mir aber vor allem die Spuren des Weges“, sagt Meinrad Schneckenleither.
In Santiago de Compostela befindet sich nach einer Legende des 9. Jahrhunderts das Grab des Apostels Jakobus. Er wurde im Jahr 43 (44) unter König Herodes Agrippa I. enthauptet . Danach soll er am Fuß des Berges Sinai begraben worden sein. Vor den drohenden Sarazeneneinfällen im 7. Jahrhundert soll der Leichnam dann nach Santiago (ans Ende der Welt) gebracht worden sein. Im 9. Jahrhundert soll ein Eremit das vergessene Grab wieder entdeckt haben. Im Mittelalter wird Santiago der wichtigste Wallfahrtsort der Kirche mit Pilgerwegen durch ganz Europa.