Am 8. Dezember feiern wir das Fest der „ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“. Vor 150 Jahren wurde dieser alte Glaube der Kirche in einem Dogma feierlich bekräftigt.
Schon 150 Jahre ist dieses Dogma alt. Und das Fest noch älter. In einer Welt, die scheinbar nur noch Reformen kennt, Innovation als ihren „Gott“ anbetet und den Bruch mit der Tradition jeden Tag als Tugend feiert, geht der Sinn für den Wert einer fundamentalen Unterbrechung verloren. Deswegen wird man auch aus Marienfrömmigkeit und erst recht aus dem 8. Dezember heute kaum Kapital schlagen können. Außer man lässt die Geschäfte offen und stürzt sich in den Einkaufsrausch. Für das Fest selber und auch für die Wahrheit von der unbefleckt empfangenen Gottesmutter Maria hat kaum einer der Zeitgenossen ein offenes Ohr. Dabei ist die Botschaft aktueller denn je.
Geschichte der Sünde
Die Alpenländler haben es schon immer gewusst: Selbst ein lauter Schrei kann eine Lawine auslösen. In der Bibel heißt es: „Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Söhnen sind die Zähne stumpf geworden.“ Und spätestens seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl haben wir es alle kapiert: Selbst die einzelne Tat eines Menschen kann das Geschick von Generationen über Jahrhunderte beeinflussen. Was den fortschrittlichsten Theologen um die Mitte des letzten Jahrhunderts als Unsinn erschien, ist heute zu einer fast alltäglichen Wahrheit geworden. Durch menschliche Untaten wird gerade die Natur des Menschen korrumpiert. Dazu braucht es keineswegs spektakuläre Verbrechen. Die alltägliche Banalität des Bösen reicht hier vollständig aus. Es gibt ja eine Geschichte der Sünde, einer Lawine durchaus vergleichbar. Der Teufelskreis von Lüge und Gewalt ist uns allen zur zweiten Haut geworden. Im Zeitalter von virtual reality fällt der Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit nicht einmal auf. Und wir alle sitzen in einem Boot! Da aber in der Nacht alle Katzen grau sind, braucht man sich eh keine Vorwürfe zu machen. Im Gegenteil: In einer Welt voll von „Scheiße“, fühlt man sich nur wohl, wenn man selber stinkt. Und zwar aufgrund der eigenen „freien“ Entscheidung. Selbsthass und Hass sind dann logische Folgen. „Lasst uns also essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“
Einsicht ist zu wenig
Mit diesen oder ähnlichen Argumenten würden die alten Kirchenväter heutzutage die Plausibilität der Wahrheit von der „Erbsünde“ zu erklären suchen. Sie würden aber darauf hinweisen, dass die bloße Einsicht in die Verstrickung Menschen bloß zu Resignation und damit auch zur Fortschreibung der Geschichte der Sünde führt. Alternativen sind da lebensnotwendig. Und das kann nur die Unterbrechung des Teufelskreises sein. Aber nicht eine gewalttätige! Diese verstärkt ja bloß das Grauen. Dass die Revolutionen immer ihre Kinder fressen, das haben wir aus der Geschichte gelernt. Die Brüche und Abbrüche, so atemberaubend sie auch sein mögen, zementieren ja bloß die alte Lüge und die Gewalt.
Gott setzt einen Neubeginn
Mit der Verkündigung des Mariendogmas ausgerechnet an der Bruchlinie zur Moderne weist die Kirche auf die katholische Alternative. Gott selber unterbricht fundamental die Verstrickung in die Geschichte der Sünde. Nicht durch Gewalt. Er nimmt einen Menschen auf wunderbare Weise durch seine Gnade aus dem Sumpf heraus und setzt einen Neubeginn. Maria: ein Mensch wie du und ich. Gezeugt und geboren auf eine Art wie alle anderen Menschen auch. Sie ist ja keine Göttin. Der Glaube an die erbsündenfreie Empfängnis sagt nur eines: Die Gewalt und der Hass gehören nicht zum menschlichen Erbe. Und der Zynismus schon gar nicht.
Zur Sache
Maria, voll der GnadeIm Lauf der Jahrhunderte wurde sich die Kirche bewusst, dass Maria, die Begnadete (Gruß des Engels – Lk 1, 28), schon bei ihrer Empfängnis erlöst worden ist. Das bekennt das Dogma von der unbefleckten Empfängnis, das 1854 von Papst Pius IX. verkündet wurde: „. . . dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch die einzigartige Gnade und Bevorzugung des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von jeglichem Makel der Urschuld unversehrt bewahrt wurde.“ (Katechismus d. Kath. Kirche, 491)
Maria im Blickfeld
Univ.-Prof. Dr. Jozef Niewiadomski lehrt Dogmatik an der Universität Innsbruck. Er greift das 150-Jahr-Jubiläum des Mariendogmas (ohne Erbschuld empfangen) auf, um in mehreren Beiträgen das Heilshandeln Gottes und die Antwort Marias vorzustellen.
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