Für mache ist Elfriede Jelinek bloß eine Skandalautorin und Nestbeschmutzerin. Erika Schuster hatte vor fast 40 Jahren ihre erste Begegnung mit einem Jelinek-Text und ist dabei wahnsinnig erschrocken.
Sie haben sich als Deutschprofessorin und später als Leiterin des „Literarischen Forums“ der Katholischen Aktion viel mit moderner Literatur befasst. Wann sind Sie das erste Mal auf Elfriede Jelinek gestoßen?
Schuster: Es war Mitte der 60er Jahre. Da hat die katholische Jugendzeitschrift „Blinkfeuer-Aspekte (KSJ) einen Literaturwettbewerb ausgeschrieben und ein ganzes Heft mit den besten Beiträgen gedruckt. Darunter war auch ein Gedicht, über das ich wahnsinnig erschrocken bin. Es war ein Text von Elfriede Jelinek mit ungemein starken, sexuell hoch aufgeladenen Sprachbildern. Ich war echt schockiert und ich kann mich noch gut erinnern, wie wir in den Führungsgremien der KSJ – ich war damals Diözesanleiterin in St. Pölten – heftig darüber diskutiert haben.
Meine zweite Begegnung war dann Anfang der 70er Jahre. Bei einem Fortbildungsseminar für Lehrer/-innen wurden wir mit Texten aus Jelineks erstem Roman „wir sind lockvögel baby!“ konfrontiert. Und ich hatte große Zweifel, ob ich es wirklich verantworten kann, diese sprachlich und thematisch so radikale Literatur meinen Oberstufenschülerinnen zuzumuten. Es hat noch einige Jahre gedauert, bis ich einen Zugang zu Jelineks Werk fand.
Was war der Schlüssel für Ihren Zugang zu Jelineks Werk?
Schuster: Bei mir hat die Auseinandersetzung mit Jelinek auf einer anderen Ebene eingesetzt, als ich versucht habe zu verstehen, was der Anlass ist bzw. welche Wirklichkeit dahintersteht, dass sie ein Thema so präsentiert – auch wenn mir dieses Verstehenwollen manchmal sehr unangenehm war und bis heute ist. So ein Schlüssel des Verstehens war, als ich begriffen habe, dass es Jelinek in ihrer schonungslos offenen Beschreibung sexueller Begegnungen nicht darum geht, eine endlich sexuell emanzipierte Sprache und Freizügigkeit zu propagieren, sondern dass sie eine Sprache einsetzt, die im Alltag durchaus präsent ist. Aber erst durch die Verwendung in der Literatur wird die Kälte und Menschenverachtung, die in dieser Sprache zum Ausdruck kommt, entlarvt. Dasselbe gilt für das Aufdecken jener gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Machtstrukturen, in denen so eine Sichtweise (und damit Sprache) über Sexualität überhaupt erst existieren kann.
Jelinek wird häufig als Skandalautorin oder Nestbeschmutzerin bezeichnet – zurecht?
Schuster: Es ist richtig, viele Werke Jelineks sind in ihrer gesellschaftlichen Kritik, aber auch in dem radikalen Bemühen, Unsagbares zu Wort zu bringen, zu benennen, im wahrsten Sinn des Wortes ver-störend. Sie stört die Mächtigen und Bequemen, die Wegschauer und Zudecker. Ihre Sprache und ihre Bilder sind oft geradezu unheimlich, ihre Überzeichnungen erzeugen einen schmerzlichen Druck, genau hinzuschauen. Aber was ist ein angeblich noch so skandalöser Jelinek-Text gegen die Wirklichkeit der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern. Und wenn man sie seit Jahren als Nestbeschmutzerin sogar auf Plakatwänden denunziert, weil sie den verlogenen Umgang Österreichs mit seiner NS-Geschichte bloßlegt („Burgtheater“, „Die Kinder der Toten“) oder die nationalen Fetische (Sport, Tourismus oder Kaprun-Aufbaumythos) kritisch hinterfrägt, dann ist das für mich eine populistische, teilweise schon menschenverachtende Hexenjagd.
Elfriede Jelinek ist sicherlich eine unbequeme Autorin, auch eine, die durch ihre Parteilichkeit verletzt und zum Widerspruch herausfordert. Sie ist aber vor allem, auch durch ihre hohe Musikalität, eine großartige Sprachkünstlerin und Sprachgestalterin, eine würdige Nobelpreisträgerin.
Zur Sache
Umstritten
Auf die Bekanntgabe des Literatur-Nobelpreises für Elfriede Jelinek gab es ein großes Echo. Auch manche Politiker, die Jelinek nie prämiert hätten, gratulierten. Wir bringen zwei Reaktionen aus dem kirchlichen Bereich. Die Vatikanzeitung „L’ Osservatore Romano“ hat das Werk von Elfriede Jelinek kritisch kommentiert. Es propagiere eine einseitig negative Sicht menschlicher Sexualität, in der es gerade nicht um eine Befreiuung der Frau vom Erotismus gehe. Sex werde mit Pathologie, Macht und Gewalt zusammengeschweißt. Das Sich-Vereinigen der Körper sei bei jelinek niemals offen für Feinheiten, für die Würde der Seele oder gute Absichten. Besonders der Roman „Die Klavierspielerin“ sei voll „brutalen Leichtsinns und Perversität“. In dem Buche gehe es nur darum, „in jeder Form der Liebe das unheilbare Erbe des Bösen, der Sünde und der Gewalt aufzuzeigen. Generell meint der „Osservatore“ zu Jelinek, die alles dominierende Öde im Namen der politischen und sozialen Anklage sei „übersetzbar in einen absoluten Nihilismus“. Der Schreibstil Jelineks wird allerdings „als einer der besten im heutigen Europa“ gewürdigt.Das „Literarische Forum“ der Katholischen Aktion würdigt Jelinek als „Moralistin“. Bei allen ideologischen Grenzen und mitunter ungerechten Angriffen gebe sie „wichtige Fingerzeige auf offene und allzu gern verdeckte Wunden“. Die „unbequeme und irritierende Autorin spart nicht mit Kritik an Kirche, Markt und Staat, was in dieser Schärfe, Sprachgewalt und Qualität auch schmerzt.“ Und sie zeige immer wieder „das deformierte, meist weibliche Individuum und die Anteile der Macht an der Deformation“. Ihre Beiträge fordern zum Nachdenken heraus.