Josef Weidenholzer bei der Deomostration gegen Nixon, 1972.
Bild unten: Prof. Dr. Irene Dyk-Ploss als junge Studentin bei einer Diskussion im Linzer Landhaus. Junge Kapläne - Ernst Bräuer und Hans Wührer.
„Unter den Talaren ist der Muff von tausend Jahren!“ – mit diesem Slogan hat sich die 68er-Bewegung vor 40 Jahren Luft gemacht. Der Slogan fasst einen wichtigen Teil dessen zusammen, was das Lebensgefühl der 68er-Generation ausgemacht hat. Ein Lebensgefühl, das die Gesellschaft nachhaltig verändert hat. Bis heute.
Es ist um Befreiung gegangen, erinnern sich alle, die die 68er-Bewegung miterlebt haben. Die ursprünglich studentische Bewegung explodierte 1968 an den großen Universitäten Europas, vor allem Frankreichs und Deutschlands. Mit Verzögerung wurde auch Österreich vom Aufbruch erfasst. Er hat der Gesellschaft ein neues Gesicht gegeben: Autoritäten wurden hinterfragt. Für Josef Gunz, damals Student in Linz, später dann selbst Uni-Lehrer, war die 68er-Bewegung eine „Art Pfingsterlebnis“, eine neue Sichtweise, die vorher schon schlummerte und durch die Mobilisierung der Kräfte erlebbar wurde. Diese Kräfte waren kräftig: Institute wurden besetzt, Vorlesungen boykottiert, Hearings im großen Hörsaal abgehalten. Dr. Siegbert Janko, Linzer Kulturdirektor, schwärmt von den tage- und nächtelangen Diskussionen im Audimax der Universität Wien, an denen auch Kreisky und Broda teilnahmen.Janko war 1967 bei einer Großdemonstration in Stockholm gegen den Schah von Persien. „Man hat es ständig erlebt, das autoritäre Gehabe. Da musst etwas tun!“: Die universitäre Gesellschaft war im Aufbruch hin zu mehr Diskussion, mehr Kritik, weniger Autoritätshörigkeit, mehr Demokratie, mehr Toleranz, weniger Muff ...
Diskussion, Diskussion. Der jetzige Direktor der Arbeiterkammer Oberösterreich, Dr. Josef Peischer, hat in der Arbeitermittelschule die Auflehnung der Pariser Studenten mitbekommen – „mit Sympathie“, die er mit vielen aus der damaligen Zeit teilt. Als er 1969 an der Uni Linz, damals noch Hochschule, zu studieren begonnen hat, engagierte er sich bei den sozialistischen Studenten. Bis heute pflegt er Freundschaften über Parteigrenzen hinweg, die damals begonnen haben. Man diskutierte und diskutierte, „bis Standpunkte klar waren“ (Dr. Irene Dyk-Ploss). „Man hat wahnsinnig viel diskutiert, hat versucht, die Welt neu zu denken“, sagt Präsident Dr. Christoph Leitl. Peischer erinnert an einen der großen Professoren der Uni Linz, den Philosophen Rudolf Wohlgenannt. Er meinte zu seinen Studenten: „Ihr müsst in jede Diskussion mit der Bereitschaft hineingehen, euch auch überzeugen zu lassen.“ Dieses Klima des Diskutierens und weniger Taktierens hat die damalige junge Generation bis heute geprägt. Die politisch wachen Studenten haben die Gedanken von mehr Demokratie in alle Bereiche der Gesellschaft hineingetragen. Die sozialistischen Studenten etwa über Gewerkschaftsschulungen.
Für mehr Offenheit. Eine „Zelle“ in Linz war damals auch die Katholische Hochschulgemeinde. Irene Dyk-Ploss erzählt vom „Sleep in“ im Stockwerk des Heimleiters, um durchzusetzen, dass in den damals streng nach Geschlechtern getrennten Trakten auch nach 22 Uhr noch Besuch vom anderen Geschlecht möglich war ...Es war ein Aufstand gegen die Mächtigen, die ihre Macht nicht hinterfragen ließen. Für den heutigen Präsidenten der Volkshilfe Österreich, Prof. Josef Weidenholzer, war der Start dazu eine Demonstration im Jahr 1967. Der Protest galt der spanischen Diktatur. Heute ist es selbstverständlich, dass Spanien eine Demokratie ist. Für Agnes Hochgerner war es eine Biafra-Demo in Wien. „Dass man alle Autoritäten in Frage stellen konnte, war ein großes Aufatmen“, sagt sie. Protest-Höhepunkt war dann im Mai 1972 die große Demonstration in Salzburg gegen den Besuch Nixons (siehe auch großes Foto oben). 3000 Demonstranten konnten sich von der Demonstrantenschar lösen und das Flugfeld stürmen, um Nixons Landung zu verhindern. Die Polizei hat sie aber schließlich vertrieben.
Und die Kirche?
Der Rektor der Caritas Oberösterreich, Ernst Bräuer, wurde 1971 Hochschulseelsorger in Linz. Damals war auf Linzer Boden die „68er-Bewegung“ am Höhepunkt. Bei der Veranstaltung „War Jesus ein Alternativer?“ im Bildungshaus Puchberg warfen Teilnehmer, die sich vom Moderator autoritär behandelt fühlten, weil dieser mit einer Glocke zur Ordnung mahnte, die Glocke kurzerhand beim Fenster hinaus. Ein Puchberger Fenstersturz. Bräuer und andere Kapläne haben einen Hungerstreik im Bischofshof gemacht. Der Bischof hatte einem jungen Priester die Dispens verwehrt, weil dieser mit seiner Partnerin in die Pfarre, in der er als Priester gewirkt hatte, gezogen wäre.Junge Kapläne – Ernst Bräuer und Hans Wührer
In der Kirche ist das die Zeit des Aufbruchs durch das Konzil und die liturgischen Reformen. Es war wie mit dem erweckten Lazarus, sagt Bräuer, auf einen Vergleich des damaligen Regens Schwarzbauer zurückgreifend: „Nehmt ihm die Binden ab“, sagte Jesus. Erst dann war es für Lazarus möglich, sich zu bewegen ...
Die Skepsis gegen alles, was mit dem Anspruch auf ewige Gültigkeit auftritt, ist das Bleibende für Ernst Bräuer aus der 68er-Zeit. Dass man mehr auf die Inhalte schaut und weniger auf die Verpackung, das wäre eine Lehre aus dieser Zeit, sagt Josef Weidenholzer. „Als ich so alt war wie ihr jetzt seid, habe ich gegen solche Leute wie mich demonstriert“, sagt Wirtschaftskammer-Präsident Dr. Christoph Leitl seinen Kindern.br>Offenheit und eine liberale Haltung sowie politische Wachheit sind Früchte der 68er-Zeit, die heute noch schmecken, ist das Resümee von Agnes Hochgerner. Die Kirche müsste da endlich auch wacher werden und die brennenden Themen der Zeit angehen. Es hat sich viel getan und doch geht alles langsamer. Viele, die damals glaubten, alles ändern zu können, mussten hier umdenken.