Briefe an Paulus. Zum Ende des „Paulusjahres“ am 29. Juni haben wir Autorinnen und Autoren aus verschiedenen kirchlichen Arbeitsfeldern eingeladen, Briefe an Paulus zu schreiben. Die Briefe von Paulus sind die frühesten schriftlichen Zeugnisse des Christentums.
Lieber Paulus!
Darf ich ganz ehrlich sein: früher, also zur Zeit meines Theologie-Studiums mochte ich Dich nicht so gern; wohl wusste ich um Deine zentrale Bedeutung für das Entstehen der ersten Christengemeinden und für das Fußfassen des Christentums überhaupt, aber dennoch hab ich mich nur pflichtgemäß – und nicht aus Überzeugung – mit Deinen Schriften, den „Paulus-Briefen“, beschäftigt. Wie trocken, spröd, theoretisch, ja blass haben sie auf mich gewirkt neben den anschaulichen, bildreichen, plastischen und lebendigen Jesus-Erzählungen, wie sie uns in den Evangelien überliefert sind. Mir hätten die Evangelien völlig gereicht. Dazu kommt, dass in meiner Wahrnehmung Jesus mit seinen Worten und Taten ganz klar auf Seiten der Schwächeren in der Gesellschaft gestanden ist, besonders auch der Frauen – und diese klar frauenfreundliche und befreiende Haltung konnte ich bei Dir, lieber Paulus, verzeih, nicht immer entdecken; im Gegenteil: in einigen Deiner Aussagen bist Du mir inkonsequent und restriktiv erschienen.
Gefunden. Später, zur Zeit meiner Eheschließung, habe ich Deinen Namen „Paulus“, der (zufällig?) auch der Familienname meines Mannes ist, sehr bewusst angenommen. Ich habe mehr und mehr entdeckt, dass Du, Paulus, bei Deiner Sendung – nämlich: die befreiende Botschaft möglichst vielen Menschen zu bringen –, ganz selbstverständlich und unkompliziert mit vielen Frauen zusammengearbeitet hast. In Deinen Briefen nennst Du immer wieder Namen Deiner Kolleginnen, die so wie Du im Dienst des Evangeliums gestanden sind, die also mit Dir „Apostel“ sind (vgl. Röm 16). Du richtest ihnen Grüße aus, bestärkst sie, und weist sie, wenn nötig, auch zurecht (Phil 4, 1–3). Für Dich war klar, dass Apostel-Sein keine Frage des Geschlechts sein kann, sondern eine Frage der Berufung. Mein Gott, wenn das doch auch unsere heutigen obersten Kirchenmänner so sehen könnten.
Erkannt. Mir ist klar geworden, dass Du, lieber Paulus, das damals noch ganz junge Christentum davor bewahrt hast, zu einer kleinen religiösen (jüdischen) Splittergruppe zu verkommen. Ohne Dein Vertrauen in einen Gott für alle, die ebenfalls vertrauen, ohne Deine radikale Infragestellung der religiösen Traditionen, ohne Deine Bereitschaft dafür auch Konflikte in Kauf zu nehmen (vgl. Gal 2), was wäre aus dem Christentum geworden? Mir imponiert Deine geistige Weite: Deine bewusste und kluge Auseinandersetzung mit der Philosophie und den geistigen Trends Deiner Zeit, Dein Bemühen, das Christentum plausibel zu begründen.
Gefallen. Mir gefällt Dein Selbstbewusstsein als Christ bei aller persönlichen Bescheidenheit. Zutiefst bewundere ich auch Deine Einsatzbereitschaft, Deine Ausdauer, die Du auf Deinen langen, beschwerlichen Reisen bewiesen hast, auch Deinen Mut, mit dem Du die vielen Hindernisse (Verleumdung, Gefängnis, Schiffbruch …) bewältigt hast. Mir gefällt Deine praktische Vernunft, mit der Du das Zusammenleben in den jungen Christengemeinden im Blick behalten hast und Dein Vertrauen in die Fähigkeiten und Begabungen der Dir Anvertrauten (1 Kor 12).
Bewundert. Ich bewundere Deinen Willen und die Entschiedenheit, das Evangelium auch bis nach Rom, ins damalige Zentrum der Macht, zu bringen und Dich von nichts und niemandem davon abbringen zu lassen. Auch dafür dank ich Dir von Herzen! So wirst Du mich mit Deinen Schriften noch lange weiterbeschäftigen: herausfordernd, richtungsweisend, zu kritischer Auseinandersetzung einladend ... Deine Kollegin (darf ich so sagen?) im Dienst an den Menschen und an der Frohen Botschaft Margarita Paulus
P.S. Einer meiner absoluten „Lieblingssätze“ stammt aus Deinem Brief an die Christ/innen in Rom: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen …“ Danke. Amen!
Briefe an Paulus
Mag. Margarita Paulus hat über 20 Jahre in Oberösterreich und Salzburg in der Pfarrseelsorge gearbeitet und ist jetzt in der theologischen Erwachsenenbildung tätig.