Das Gleichnis des Evangelisten Lukas von der Barmherzigkeit des Vaters kann als Leitmotiv für das Leben gelten. Nicht zuletzt zeigt es auf, dass das reine Festhalten am (äußeren) Erfüllen der Gebote problematisch ist.
Die berühmte Stelle in Lk 15,11–32 wurde von einer Überschrift geprägt, die dem Sinn der ganzen Stelle nicht gerecht wird: „Das Gleichnis vom verlorenen Sohn“. Denn es geht erstens in dieser Stelle um zwei Söhne und zweitens ist auch die Rolle des Vaters zentral. Deshalb nennen wir sie heute auch oft „Das Gleichnis vom barmherzigen Vater“. Ich spreche bei diesem Gleichnis gerne von den „zwei suchenden Söhnen“. Lukas stellt Jesus als einen dar, der den Verlorenen nachgeht und sie sucht. Er will, dass alle Menschen zu einem erfüllten Leben in Freude gelangen. Wie so häufig bringt Lukas Beispiele aus dem Leben. Familienprobleme, Erbstreiterei, Ansehen in der Familie, Erwachsenwerden, Konflikt zwischen Geschwistern, Hilflosigkeit der Eltern … sind hier vordergründig angesprochen. Historisch steht der ältere Sohn wohl für das Judentum, das „immer schon beim Vater war“, der jüngere symbolisiert die Kirche aus dem Heidentum, die nach manchen Irrwegen zum Vater findet. Auf einer tieferen Ebene geht es um die Offenheit des Vaters für alle, die sich ihm zuwenden. Gott ist da und er lässt sich finden von denen, die ihn suchen.
Der jüngere Sohn und sein Absturz
Der jüngere Sohn fordert von seinem Vater den ihm zustehenden Teil. Erbe ist der ältere Sohn, so muss der jüngere seinen Weg außerhalb der Familie suchen. Der Vater teilt sein „Vermögen“ auf. Im griechischen Text steht hier „bios“, das „Lebensunterhalt/Leben“ bedeutet und nicht einfach den materiellen Besitz meint. Frei können wir hier übersetzen: Der Vater gibt dem jüngeren Sohn sein Leben in die Hand. Der setzt nun seine Träume, Wünsche und Sehnsüchte um. Er will weg, weit weg und endlich „leben“. Nach Lk 15,13 zieht es ihn „in ein fernes Land“. Er möchte den althergebrachten Konventionen entfliehen. Das Fremde und das Neue wirken häufig besonders attraktiv und verlockend, besser und schöner. So macht er sich auf den Weg. Dabei setzt er sein Leben und seine Lebensgrundlagen leichtfertig aufs Spiel. Die Bindung zur Herkunftsfamilie ist gebrochen, die alten Freunde sind weg, die neuen lassen ihn stehen. Als zu allem Unglück auch noch eine Hungersnot kommt, ist der Absturz nicht mehr aufzuhalten. Er ist als Schweinehirt tätig, was für das jüdische Ambiente eine zusätzliche Erniedrigung darstellt. Dafür ist er doch nicht bestimmt.
Aufbrechen – eine schmerzliche, aber heilsame Wende
Ist es herzlose Tragik oder unausweichliche Wirklichkeit, als man dem Verzweifelten sogar das Schweinefutter verweigert? Man füttert Menschen nicht mit Schweinefutter ab, könnte man aus diesem Text lesen. Das ist nicht menschenwürdig. Diese Perikope will uns etwas anderes lehren und einen anderen Weg aufzeigen. Die Wende beginnt sich da abzuzeichnen, wo der jüngere Sohn „in sich geht“ und der Wirklichkeit ins Auge blickt. Wo er nicht mehr vor sich selbst davonläuft und sich betäubt, sondern sich mit dem eigenen Leben konfrontiert. Die eigene Situation anzuerkennen, ohne die dunklen Seiten zu verdrängen, ist der Beginn der Umkehr. Er geht in sich und fasst den Entschluss „aufzubrechen“. Dieses Aufbrechen hat eine doppelte Bedeutung. Es bricht etwas Zugedecktes in seinem Inneren auf und äußerlich bricht er tatsächlich auf. Er macht sich auf den Weg. Im Urtext steht dafür „anastas“, das dieselbe Wurzel hat wie das Wort „Auferstehung“. Der Aufbruch des Sohnes ist „Auferstehung“ im Alltag. Die Erinnerungen an eine gute Kindheit und Vergangenheit sind hilfreich, die entsprechenden Schritte zu tun. Aus dieser Perspektive der „Auferstehung“ deutet er sein bisheriges Leben als „Sünde“, als unversöhntes und isoliertes Leben. Viele tun sich nicht leicht mit diesem Begriff „Sünde“, weil er vielfach eng und verdinglicht gesehen wurde und wird. Dieser Sohn hat sich von allen losgesagt und sich mit seiner Lebensweise immer mehr in die Isolation manövriert. Sich lossagen und absondern von Gott, den Menschen und letztlich von sich selbst, das ist Sünde. Er will umkehren und sich neu ausrichten.
Heilsame Umarmung für Vater und Sohn
Wie schmerzlich muss es für den Vater gewesen sein, zusehen zu müssen, wie sein Sohn so weit weg von dem ist, was er für gut erachtet. Umso beachtlicher ist seine Reaktion, als der Sohn zurückkommt. Der Vater läuft ihm entgegen und sagt kein Wort wie „Ich habe es dir ja gesagt!“ oder „Musste das sein?“ … Er hebt auch nicht den Zeigefinger, sondern breitet seine Arme aus und nimmt ihn einfach an. Er gibt ihm seine Würde zurück. Der Vater ordnet ein Fest an und gemeinsam können sie nun feiern, dass der Sohn seinen Entschluss in die Tat umgesetzt hat und zurückgekommen ist.
Der brennende Zorn des Bruders
Der ältere Sohn kann sich nicht freuen, als er erfährt, dass für seinen Bruder ein Fest gefeiert wird. Wieder kommt der Vater heraus, geht ihm entgegen und redet ihm zu. Es hilft nicht. Der Ältere hat seinen freien Willen. Zudem macht der Zorn auch blind, wie ein Sprichwort sagt und die Realität zeigt.
Leider macht uns die Einheitsübersetzung Schwierigkeiten, wenn vom „Erfüllen des Willens“ gesprochen wird. Es ist für uns schon schwer nachvollziehbar, dass der ältere Sohn so distanziert bleibt, wenn er doch immer den „Willen“ des Vaters erfüllt hat. Tut er das hier zum ersten Mal nicht? Im Urtext und anderen deutschen Übersetzungen steht nicht das Wort „Wille“, sondern „Gebot/Gesetz“. Da wird das Ganze nun deutlicher: Der ältere Sohn hat zwar immer die Gebote erfüllt, aber tiefer ist er in der Erkenntnis des Willens des Vaters (im Glauben) nicht gekommen. Es ist das Festhalten am (äußeren) Erfüllen der Gebote, was hier als Problem aufgezeigt wird. Lukas spielt damit auf den Gesetzesgehorsam Israels an, das bei aller Gesetzeserfüllung den Willen des Vaters letztlich nicht verstanden hat. Der ältere Sohn müsste auch so wie der jüngere „in sich gehen“, um den Willen des Vaters zu erkennen. Wenn wir nur „nach Vorschrift“ leben und handeln, sagt uns dieses Gleichnis, dann ist Beziehung nicht mehr möglich. Man lebt nebeneinander her. Sei es in den Beziehungen zu anderen, zu Gott und auch zu sich selbst. Der Wille des Vaters ist Leben. Es ist ein schwieriges Unterfangen für den älteren Sohn bei all seinem ordentlichen und geordneten Tun zu entdecken, was der Wille des Vaters ist und worin seine persönliche Lebensbestimmung liegt. Das Gleichnis zieht die Leser und Hörer mitten ins Geschehen hinein: Allen, die den Text hören oder lesen, steht die Barmherzigkeit des Vaters offen. Er möchte jeden Menschen mit Leben erfüllen. Umkehr und Hinwendung zum barmherzigen Vater eröffnen Wege des Lebens.
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Impuls
Ich lese langsam das Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15,11-32) und überlege folgende Fragen
- Was ruft das Gleichnis in mir wach?
- Wie verstehe ich das Gleichnis jetzt?
- Welche Person oder Haltung liegt mir am nächsten?
- Welche Fragen habe ich zu dem Text?
Ihre Anregungen und Fragen werden von einer kompetenten Mitarbeiterin des Bibelwerkes beantwortet. Schreiben Sie an bibelkurs@kirchenzeitung.at