Jesus widerspricht den Pharisäern nicht, die ihn als Fresser und Säufer bezeichnen. Warum das einen guten Grund hat und wie eine Ethik in der Ernährung aussehen kann, sagt der Linzer Moraltheologe Michael Rosenberger.
Ausgabe: 2014/41, Rosenberger, Glaube, Ernährung
07.10.2014 - Das Gespräch führte Josef Wallner
Warum ist das Essen zu Ihrem Thema geworden? Michael Rosenberger: Über die Auseinandersetzung mit der Ökologie und dem Problem des Welthungers bin ich zur Ernährungsfrage gekommen. Ernährung ist eine Schlüsselfrage jeder Ethik. An dem, was und wie ein Mensch isst, kann man sehen, welche ethische Einstellung er hat.
Wenn sich in der Ernährung die Ethik bündelt, warum gibt es dann in der katholischen Kirche dazu kaum Regeln und Vorschriften? Bis zum 2. Vatikanischen Konzil hatte die Kirche klare Regeln. Denken Sie an das Fastengebot für die Freitage, an denen es untersagt war, Fleisch zu essen. Dann gab es das Fastenverbot für die Sonn- und Feiertage. Die eucharistische Nüchternheit wurde sehr streng genommen, das Tischgebet war selbstverständlich und die Achtung vor Lebensmitteln war hoch. Brot verderben zu lassen war undenkbar. Es gab aber keine geschlossene Lehre über das Essen und Trinken, sondern das Thema war mit der traditionellen katholischen Lebenspraxis verbunden. Mit dem Wegbröckeln der Tradition ging aber auch die Sache verloren.
Warum zeigt sich im Essen die gesamte Ethik? Weil Essen und Trinken ein gesellschaftliches „Totalphänomen“ ist, wie der französische Soziologe Marcel Mauss sagte. Am Essen und Trinken kann man ablesen, wie sich eine Gesellschaft organisiert und versteht. Im Grunde steht die Einsicht des Philosophen Ludwig Feuerbach dahinter: der Mensch ist, was er isst. Wenn man dem zustimmt – und das tue ich – muss man die ethische Aufmerksamkeit darauf lenken und darf Essen und Trinken nicht als Nebensache behandeln.
Wenn ich esse, soll man sehen, welche ethische Einstellung ich habe? Ist das nicht doch ein wenig weit hergeholt? Nein keinesfalls. Man sieht einmal, welche Wertschätzung der Mensch den Schöpfungsgaben zukommen lässt: Ernähre ich mich gesund? Nehme ich mir Zeit für das Essen? Dann kommen Fragen der Mitmenschlichkeit ins Spiel: Mit wem setze ich mich an den Tisch, wen schließe ich aus? Mit wem ich mein Essen teile, dem fühle ich mich verbunden. Welche Sitzordnung gibt es? Das begegnet uns schon in der Bibel. Beim letzten Abendmahl streiten die Jünger Jesu um die Sitzplätze, wird im Lukasevangelium überliefert. Lukas entwickelt in seinem Evangelium eine Theologie des Mahles.
Auf diese Theologie des Mahles wollen Sie in Ihrem neuen Buch besonders hinweisen. Ja, durch die mangelnde Reflexion des Essens und Trinkens sind in Theologie und Kirche blinde Flecken entstanden, wo wir Dinge zu wenig wahrnehmen. Wenn ich an die Emmaus-Erzählung denke: die Jünger erkennen Jesus, als er das Brot bricht, nämlich daran, wie er das Brot bricht. Nicht durch die Lehre – er hat ihnen am Weg des langen und breiten die Schrift ausgelegt – sondern beim Essen gehen ihnen die Augen auf. Wie wir Mahl halten, wie wir Eucharistie feiern, sollte das Erkennungszeichen für uns Christen sein – doch davon sind wir noch meilenweit entfernt.
Was soll sich bei einer Eucharistiefeier zeigen? Die Eucharistie ist der Spiegel, in dem alle Fragen und Antworten von gutem Essen und Trinken gebündelt sind. Man muss sie dafür aber transparent machen. Es geht nicht um einzelne Vorschriften und Normen, es sollen Grundhaltungen sichtbar werden. Eucharistie wird mit Hostien aus naturreinem Mehl und mit naturreinem Wein gefeiert, das weist auf die Qualität der Lebensmittel hin. Im vierten Hochgebet beten wir, dass die ganze Schöpfung Gott preisen soll, nicht nur der Mensch, da wird der Aspekt unserer Verantwortung für und Verbundenheit mit der Schöpfung deutlich. Im Blick auf das Abendmahl Jesu darf es bei der Eucharistie keine besten Plätze geben, es muss sichtbar werden, dass alle Getauften am Tisch Jesu gleich sind. Da zeigt sich eine wahre Geschwisterlichkeit. Auch Dankbarkeit, Maßhalten und Genussfähigkeit gehören zur Eucharistie. Wenn diese Werte bei der Eucharistiefeier spürbar werden, übersetzt sie sich von selbst ins Leben. Da traue ich dem Sakrament viel Kraft zu.
Wie kommen Sie auf die Genussfähigkeit im Zusammenhang mit der Eucharistie? Das klingt befremdlich. Die Genussfähigkeit wird in der christlichen Tradition wenig beachtet, hat aber im Leben Jesu einen hohen Stellenwert. Die Pharisäer nennen Jesus einen Fresser und Säufer. Er widerspricht diesem Vorwurf nicht. Er isst gerne, er trinkt gerne, er ist genussfähig – was offensichtlich die Pharisäer nicht können. Die Fülle von Vorschriften verstellt ihnen offensichtlich den Genuss.
Was bedeutet Genussfähigkeit in Zusammenhang mit den Glauben? Der Genuss entspricht dem Glauben an einen Schöpfer, der es gut mit uns meint. Gott möchte, dass wir Freude am Leben haben. Die beste Art und Weise das zu zeigen, ist das gute Essen und Trinken. Gutes Essen und Trinken ist ein Ausdruck des Glaubens, ein sichtbares Bekenntnis zu einem Gott, der es gut mit uns meint. Da haben die Freude und auch der Überfluss ihren Platz.
So einfach geht „Glauben“ – einfach gut zu essen und zu trinken? Ja, wer im vollen Sinne gut isst und trinkt, der kann dies nur in Glauben, Hoffnung und Liebe tun. Sein Essen und Trinken wird das Geheimnis Gottes spürbar machen. Aber im vollen Sinne gut zu essen und zu trinken ist zugleich doch sehr anspruchsvoll. Die vielen Kochshows im Fernsehen machen die Sehnsucht der Menschen danach deutlich – und sind zugleich der Beweis dafür, wie viele Menschen offenbar nicht gut essen und trinken.
Steht der Genussfähigkeit nicht die Gesellschaft mit ihrem Diktat der Zeit entgegen, die Hetze und Hektik des Alltags? Werktags ja, aber Umfragen machen den Trend aus, dass sich Menschen an den Wochenenden wieder mehr Zeit für das Essen nehmen. Das halte ich für eine erfreuliche Entwicklung. Und gutes Essen ist nicht in erster Linie eine Frage des Geldes, sondern der Bildung: Es geht darum, das Gespür für den Geschmack wiederzugewinnen, wie Gewürze schmecken – ein Hauch von Muskatnuss, ein Hauch von Knoblauch. Insofern hat Genussfähigkeit viel mit den Lebensmitteln zu tun, die ich kaufe. Die Vielfalt der saisonalen und regionalen Produkte trägt wesentlich zur Ausbildung eines guten Geschmacks bei. Wer nur Fertiggerichte isst, die immer gleich schmecken, wird seinen Geschmackssinn nicht entwickeln können.
Wenn man so viel über Genuss spricht, darf man aber auch die Realität des Hungers in der Welt nicht übersehen ... Dass eine Milliarde Menschen unterernährt sind, ist schrecklich. Das ist einerseits eine Anfrage an unseren Lebensstil. Wir kaufen in den Ländern des Südens zum Beispiel Sojaernten auf, damit wir bei uns Viehfutter haben und unseren Fleischkonsum steigern können. Das braucht ein Umdenken und Umkehren. Andererseits brauchen wir mehr weltwirtschaftliche Spielregeln, die sich an den Ärmeren ausrichten. Der Weltmarkt wird noch zu sehr von einem Raubtierkapitalismus beherrscht.
Michael Rosenberger, Im Brot der Erde den Himmel schmecken. Ethik und Spiritualität der Ernährung, München: oekom Verlag 2014, 443 Seiten, € 34,95.