„Ich bin fest davon überzeugt, dass Joseph Ratzinger nicht der Konservative ist, als der er oft hingestellt wird“, sagt sein ehemaliger Schüler und Mitarbeiter Roman Angulanza. <
Erst vor zwei Wochen hat der Salzburger Theologe und Erwachsenenbildner Roman Angulanza einen zweiseitigen Brief von Kardinal Joseph Ratzinger bekommen. Er ist mit ihm seit fast 50 Jahren gut bekannt. Damals habe er ihn in Salzburg kennen gelernt und war von dem jungen Theologen fasziniert. „Ich bin dann nach Bonn und später nach Münster gegangen, um bei ihm zu studieren.“ In Münster war Angulanza auch wissenschaftliche Hilfskraft von Ratzinger. „Er hat mich mit verschiedenen Arbeiten betraut, damit ich mir als Student etwas dazuverdienen konnte.“
„Für uns war Ratzinger nicht nur ein modern denkender, umfassend gebildeter Theologe, sondern auch so etwas wie ein älterer Freund“, sagt Angulanza. „An Sonntagen hat er die Studenten aus Österreich und Bayern oft zum Essen eingeladen. Dabei habe ich ihn von seiner humorvollen Seite ebenso kennen gelernt wie von seiner theologischen und spirituellen Tiefe. Ich kann mich noch gut an den ersten Sonntag erinnern. Da spielte er uns eine Platte von Karl Valentin und eine vom jüdischen Mystiker Martin Buber vor.“ Ratzinger habe ihn als Mensch und Theologe immer überzeugt: „Er war schlicht, glaubwürdig, von einem umfassenden Wissen und einem scharfen Blick für die Probleme der Zeit“, meint Angulanza. Und er erinnert daran, dass Ratzinger als junger Konzilstheologe jene berühmte Rede von Kardinal Frings konzipiert hat, die zu einer Wende des Konzils von einer kurial dominierten Versammlung zum echten Dialogforum der Bischöfe geführt hat. Die Erfahrungen mit den chaotischen Studentenkrawallen und den gesellschaftlichen Umbrüchen Ende der 60er Jahre seien an Ratzingers Theologie allerdings nicht spurlos vorübergegangen. Er habe sehr deutlich gesehen, dass eine freiheitsverliebte Gesellschaft sehr leicht in die Beliebigkeit der Werte und in die selbstgemachte Religion abrutschen könnte. Der Paradekonservative und ängstliche Bewahrer, als der er immer hingestellt würde, sei Ratzinger ganz gewiss nicht, ist Angulanza bis heute überzeugt. Zu dieser Punzierung habe sicherlich seine Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation beigetragen. Ratzinger habe das immer als Dienst gesehen, dem Papst in theologischen und disziplinären Streitfragen den Rücken freizuhalten. „Für Ratzinger war selbstverständlich, dass er als Präfekt der Glaubenskongregation nicht seine persönliche theologische Meinung zu verbreiten habe, sondern dass er die von den Konzilien und Päpsten formulierte Glaubenslehre darlegen müsse.“ Ein Briefverkehr Ratzingers mit einem orthodoxen Freund, der sich bitter über das ökumenisch umstrittene Dokument „Dominus Jesus“ beschwert hatte, zeige das deutlich, meint Angulanza. Darin schreibe Ratzinger, dass man dieses Dokument vergessen könnte, hätte er darin etwas anderes als die Lehre des Konzils dargelegt.
Ratzinger sei nicht der Mann mit den zwei Gesichtern: der moderate Theologe und brillante Intellektuelle einerseits und der beinharte Glaubenshüter andererseits. „Auch ich habe mich oft sehr über Dokumente aus seiner Kongregation geärgert und ihm auch meine Enttäuschung geschrieben. Er hat nie ein böses Wort darüber verloren oder sich herauszureden versucht. Er hat mit einer eisernen Selbstdisziplin zwischen seinen grundverschiedenen Aufgaben unterschieden. Deshalb“, so Angulanza, „hoffe ich sehr, dass er jetzt als Papst gerade dort, wo er als Theologe stets für Reformen eingetreten ist, etwas voranbringen will: In der Ökumene – auch im Hinblick auf das Papstamt – und bei der Dezentralisierung der Kirche.“ Wiederholt habe sich Ratzinger kritisch zum römischen Zentralismus geäußert und eine Aufwertung der Bischofskonferenzen bzw. eine Regionalisierung der Kirche (Patriarchate und Synoden) gefordert.
Reaktionen
100 Lerntage
Stuttgart. „Wie einem US-Präsidenten sollte man dem neuen Papst 100 Lerntage zubilligen.“ So kommentierte der vom früheren Präfekten der Glaubenskongregation gemaßregelte Theologe Hans Küng die Wahl Ratzingers. Das Petrusamt sei eine derartige Herausforderung, dass es jede Person verändern könne. „Man muss abwarten“. Wer als „konservativer“ Kardinal ins Konklave gegangen sei, könne als „progressiver“ Papst herauskommen, erinnerte Küng an Johannes XXIII.
„Mein Papst“
Münster. Johann Baptist Metz, wie Ratzinger einst Berater beim Zweiten Vatikanischen Konzil, warnte, den neuen Papst nur als Konservativen zu sehen. „Der Mann ist für Überraschungen gut.“ Er sei kein Fundamentalist, denn Fundamentalismus sei ein Zeichen von Dummheit. Es sei schmerzlich gewesen, dass Ratzinger als Erzbischof seine Berufung zum Theologieprofessor in München verhindert habe: „Ich war ihm zu links und gefährlich.“ Metz bekannte, nicht immer einer Meinung mit Ratzinger zu sein: „Aber jetzt ist er mein Papst.“
Eigener Herr
München. Eugen Biser bezeichnete Benedikt XVI. als den Papst mit der „größten theologischen Kompetenz seit Leo dem Großen“. Die Aufgabe als Präfekt der Glaubenskongregation sei für Ratzinger eine Last gewesen, „aber jetzt ist er Herr seiner eigenen Situation.“ Der Religionsphilosoph ist überzeugt, dass dieser Papst ganz andere Qualitäten habe, als sie ihm von der Öffentlichkeit zugeschrieben würden. Aus eigener Erfahrung wisse er, dass Ratzinger nie mit persönlicher Härte reagiert habe, auch wenn er anderer Meinung gewesen sei. Bisers Einschätzung nach werde der neue Papst auch in strittigen Fragen die Diskussion nicht scheuen: „Ein Theologe, der nicht mit sich reden lässt, ist kein Theologe, sondern ein Ideologe.“