Der Masern-Tod eines kleinen Berliner Buben entfacht die Impfdiskussion erneut. Im Interview mit der KirchenZeitung beantwortete der Eferdinger Kinderarzt Dr. Johannes Neugebauer Fragen zu Risiken, Wirkungen, Impfplänen und Impfskeptikern.
Ausgabe: 2015/10, Impfen
03.03.2015 - Brigitta Hasch, Paul Stütz
Wie gefährlich sind Impfungen im Vergleich zu Erkrankungen? Dr. Johannes Neugebauer: Das Risiko, dass eine Schutzimpfung eine schwerwiegende Komplikation oder gar bleibende Schäden nach sich zieht, liegt bei 1:1 Million. Im Vergleich dazu ist die Wahrscheinlichkeit von gravierenden Nebenwirkungen, Dauerschäden oder Todesfällen bei Krankheiten wie Masern oder Röteln bei 1:1000. Nebenwirkungen wie Rötungen oder ein Ziehen im Arm sind normale Reaktionen des Körpers und vergehen bald. Dass Impfungen selbst Krankheiten verursachen, wurde zwar mehrfach behauptet und publiziert, Beweise dafür gibt es nicht. Im Gegenteil. Wir wissen heute, dass weder Autismus noch Multiple Sklerose oder andere Erkrankungen auf die Wirkung eines Impfserums zurückzuführen sind.
Wie erklären Sie sich dann die in Österreich herrschende Impfmüdigkeit? Neugebauer: Der Hauptgrund liegt wahrscheinlich darin, dass kaum jemand mehr weiß, wie gefährlich diese sogenannten Kinderkrankheiten tatsächlich sind, weil sie nur mehr selten vorkommen. Pocken konnten weltweit ausgerottet werden, Kinderlähmung, Diphterie und Tetanus sind in der westlichen Welt nahezu völlig verschwunden. Mit der steigenden Impfmüdigkeit oder Impfskepsis beobachten wir leider wieder einen Anstieg von Masern, Röteln und anderen Krankheiten bei Kindern.
Der Impfplan für Kinder wird immer umfangreicher. Ist das notwendig? Neugebauer: Ja. Hinzugekommen ist bei Säuglingen eine Schluckimpfung gegen den Rotavirus, der für schwersten Brechdurchfall verantwortlich ist. Für Klein- und Schulkinder haben wir nun zwei Impfungen gegen bakterielle Erkrankungen: Pneumokokken und Meningokokken. Beide Erreger verbreiten sich leicht und können neben anderen Erkrankungen zu einer Gehirnhautentzündung führen. In der Folge kann es zu dauerhaften Schäden und auch zum Tod innerhalb weniger Stunden kommen. Relativ neu ist außerdem die HPV-Impfung gegen verschiedene Krebsarten im Genitalbereich.
Ist die Skepsis bei allen Impfungen gleich hoch? Neugebauer: Nein. Die Zeckenimpfung wird überdurchschnittlich gut angenommen. Jeder kennt diese Blutsauger und weiß, dass sie schwere Krankheiten übertragen können. Viele Leute würden sich auch schon längst eine HIV- oder Ebola-Impfung wünschen. Hat man die Verbreitung, eine mögliche Ansteckung und den wahrscheinlich tödlichen Verlauf einer Krankheit vor Augen, ist die Impfbereitschaft größer.
Was passiert beim Impfen? Neugebauer: Der Körper wird mit abgeschwächten oder abgetöteten Erregern in einem sehr geringen Ausmaß infiziert. Das Immunsystem reagiert, es mobilisiert weiße Blutkörperchen und bildet schützende Proteine, sogenannte Antikörper. Für den „Ernstfall“ merken sich die Immunzellen den Bauplan des „Feindes“ und zerstören ihn, sobald er in den Körper eindringt. Im Prinzip ist es der gleiche Ablauf wie bei einer Erkrankung selbst, nur eben gesteuert, mit wesentlich weniger Antigenen, also Erregern, und daher auch mit deutlich weniger Risiko.
Sind Sie für eine Impfpflicht in Österreich? Neugebauer: Nein, ich glaube, dass die Verantwortung bei den Eltern bleiben sollte. Allerdings schreibt die Weltgesundheitsorganisation WHO das Recht aller Kinder auf die beste Gesundheitsversorgung fest. Dazu zählt auch der Schutz vor Erkrankungen, die durch Impfungen vermeidbar sind.
Mit welchen Argumenten überzeugen Sie Impfgegner? Neugebauer: Ich will niemanden zum Impfen überreden. Im Gespräch kann und muss man aber verunsicherte Eltern aufklären. Viele unbegründete Sorgen lassen sich dadurch ausräumen. Eine sehr treffende Bezeichnung für Impfskeptiker kommt übrigens von einem Kollegen: Er sieht in Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, immunologische Trittbrettfahrer. Impfen ist nämlich nicht nur ein Individualschutz, es ist vielmehr ein Kommunalschutz. Nicht geimpfte Kinder erkranken selbst leichter, sie übertragen aber auch die Krankheiten an Menschen, für die kein Impfschutz möglich ist. Ich denke da an Säuglinge oder Personen mit Immunerkrankungen. Wer also Impfen verweigert, kann auch andere Menschen in Gefahr bringen.
Die große Skepsis vor dem Impfen
KirchenZeitungs-Redakteur Paul Stütz horchte sich die Argumente einer Impfskeptikerin bei einem „kritischen“ Vortrag an. Im Herbst besuchte ich den Vortrag, der das „Impfen kritisch“ hinterfragte, wie der Titel ankündigte. Von der Organisation „Impformation“, die in Salzburg beheimatet, aber auch im angrenzenden Oberösterreich aktiv ist. In einem Gasthaus in Schörfling vor etwa 40 besorgten Eltern erklärt die Volksschullehrerin Petra Cortiel ihre Sicht der Dinge. Gleich zu Beginn greift sie das allgemeine Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie auf. Die Pharmavertreter möchten mit den Impfungen vor allem ein Produkt verkaufen. Ein Hauptverkaufsargument sei die Angst.
Ungeimpfte. Als eine junge Mutter nach dem Vortrag sagt, dass ihr mögliche Masern-Spätkomplikationen große Sorgen bereiten, meint Cortiel: Diese Angst würde doch von den Pharmafirmen in Internet-Foren bewusst geschürt. Auf die wissenschaftlich erwiesenen tödlichen Gefahren der Masern und ihrer Folgeerkrankungen geht sie kaum ein.
Außerdem sagt Cortiel, dass sie nicht glaubt, dass die Masernimpfung schützt. Kinder, die nicht geimpft sind, würden im Endeffekt kräftiger und gesünder werden, weil die Krankheiten ihre Abwehrkräfte stärken. Auf der anderen Seite wird das Risiko von Impfschäden als sehr hoch eingeschätzt. „Viele Eltern wenden sich an mich. Da wird viel vertuscht“, meint Petra Cortiel später auf Nachfrage der KirchenZeitung. Dem ließe sich entgegenhalten, dass es 2010 und 2011 sechs nach dem Impfschadengesetz bestätigte Fälle in ganz Österreich gibt. Eine ernst zu nehmende, aber doch geringe Anzahl. Aluminium und gentechnisch veränderte Substanzen in Impfungen könnten Nebenwirkungen verursachen und zu Allergien, Asthma, Verhaltensauffälligkeiten, plötzlichem Kindstod, Genschäden führen. Das alles sagt Cortiel. Sie richtet jedoch nie Forderungen ans Publikum, das Impfen komplett sein zu lassen. Man muss fairerweise dazusagen, dass sogar sie meint, manchmal werde es besser sein zu impfen.
Fazit. Dennoch werden die meisten Eltern durch den Vortrag in ihrer Impfskepsis bestärkt worden sein. Mit genau der Methode, die Cortiel der Pharmaindustrie vorwirft: Angst schüren. Wissenschaftliche Belege dafür, dass Impfen generell schädlich ist, kann sie nicht anführen. Doch hat sie sich viel Zeit genommen für Fragen. So viel Zeit, wie sich Ärzte normalerweise kaum nehmen (können).