Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer ist als einer der großen Christen des 20. Jahrhunderts bekannt. Weniger bekannt ist, dass ihn, den damals 18-Jährigen, die Begegnung mit der katholischen Kirche in Rom Zeit seines Lebens geprägt hat.
Ausgabe: 2015/19, Bonhoeffer, Rom
06.05.2015 - Josef Wallner
Am Palmsonntag des Jahres 1924 sitzt Bonhoeffer um vier Uhr nachmittags im Kolosseum. Er muss ein wenig ausspannen. Vormittags hatte er im Petersdom die Liturgie mitgefeiert, dreieinhalb Stunden hatte sie gedauert. Begeistert notiert er in sein Tagebuch: „Fabelhaft wirkt die Universalität der Kirche, Weiße, Schwarze, Gelbe, alle in geistlichen Trachten vereint unter der Kirche, doch sehr ideal.“ Besonders aber hat es ihm die Musik angetan: „Das Unglaublichste war der Knabenchor. (...) Herrlich das Credo des Chors und darin das ja fast in allen Messen schönste conceptus de spiritu sancto natus ex Maria virgine, die Stimmen waren hier so zart, wie ich es wohl nie gehört hatte.“ Blättert man Bonhoeffers Tagebuch durch, merkt man, dass St. Peter der Kristallisationspunkt seiner Begegnung mit der katholischen Kirche war. Er tritt im sichtbaren Zentrum des Katholizismus in eine geistige Welt ein, die ihm fremd ist, aber ihn vom ersten Augenblick an fasziniert. Der Theologiestudent Bonhoeffer hält in seinem Tagebuch vierzehn ausführliche Besuche im Petersdom fest, die meisten davon waren Gottesdienste. Dazu kommt noch die Teilnahme an Messfeiern in den übrigen großen Kirchen Roms.
Kirchen-Marathon
In den etwas mehr als sechs Wochen, die er im April und Mai 1924 in Rom verbrachte, absolvierte Bonhoeffer einen regelrechten katholischen Kirchen-Marathon. Dabei hat es ihm vor allem die Kombination von Liturgie und Musik angetan. Nach der Rast im Kolosseum hastet er weiter zur Kirche S. Trinità dei Monti an der spanischen Treppe, damit er um sechs Uhr ja die Vesper nicht versäumt. Dort ist er vom Gesang der jungen Nonnen völlig eingenommen. Sein Resümee des Palmsonntags: „Der Tag war herrlich gewesen, der erste Tag, an dem mir etwas Wirkliches vom Katholizismus aufging, nichts von Romantik usw., sondern ich fange, glaube ich, an, den Begriff Kirche zu verstehen.“ „Diesen römischen Erfahrungen messe ich eine für Bonhoeffer, sein Leben und Denken entscheidende Bedeutung zu“, urteilt der Bonhoeffer-Experte Ernst Feil: Es geht vor allem um die Wertschätzung von Kirche. Ohne diese Begegnungen in Rom ist schwer vorstellbar, dass Bonhoeffer eine so konsequente Überzeugung von „Kirche“ durchgehalten hätte – von seiner Dissertation angefangen bis zu seinen Überlegungen im Gefängnis, wo er Kirche „als Kirche für andere“ beschreibt.