Wieder macht er Schlagzeilen – „der Islam“: Der brutale Vormarsch der ISIS im Irak, Übergriffe somalischer Al-Qaida-Kämpfer in Nachbarländern, eine Serie von Anschlägen von Boko Haram in Nigeria, in Österreich und Deutschland angeworbene Dschihadisten. Der Theologe Ulrich Winkler warnt eindringlich davor, nur diese Problembilder in den Blick zu nehmen.
Ausgabe: thema, religion, glaube, salzburger feststpiele, islam
22.07.2014 - Hans Baumgartner
Zum dritten Mal eröffneten heuer die Salzburger Festspiele mit einer „Ouverture spirituelle“ ihr Programm. Immer soll es dabei auch zu einer künstlerischen Begegnung mit einer der Weltreligionen kommen. Begleitet wird dieser Auftakt jeweils von einer Gesprächsreihe (Disputationes), die gemeinsam vom Herbert-Batliner-Europainstitut und den Festspielen veranstaltet wird. Heuer geht es dabei um das Thema „Islam verstehen – Herausforderung für Europa“.
Bilder prägen
Er wisse nicht, wie die Themenwahl der Festspielgespräche zustande gekommen sei, meint der Salzburger Theologe Ulrich Winkler (s. auch Kopf d. Woche.) Aber dass es im Hinblick auf das Verständnis des Islam große Herausforderungen gebe – politisch, gesellschaftlich, aber auch in der ganz persönlichen Wahrnehmung und Haltung – sei unbestritten. Auch deshalb, weil der Islam bei uns vor allem als „Problem“ wahrgenommen werde, in der innenpolitischen Debatte (Wahlkämpfe, Moscheekonflikte etc.) ebenso wie in der globalen Sichtweise. Spätestens seit dem 11. September 2001, den Anschlägen auf die Twin Towers, werde der Islam vor allem mit Gewalt, Hass und Terror in Verbindung gebracht. Die an Konflikten orientierte mediale Vermittlung trage dazu ihren Teil bei. Gerade deshalb sei es umso wichtiger, genauer hinzuschauen, warnt Winkler vor generalisierenden Pauschalurteilen.
Hinschauen
Genauer hinschauen, das sei schon im konkreten Zusammenleben mit dem/der „Anderen“ ein herausfordernder, komplexer Prozess – und erst recht im Zusammenhang mit anderen Religionen, betont Winkler. Dazu sei einerseits der Blick der Religionswissenschaften hilfreich – die Analyse der Lehre, der Ethik, der Riten, der Spiritualität etc. mit dem Bemühen, die Argumentation des anderen zu verstehen. Der kanadische Religions- und Islamwissenschaftler Wilfred Smith habe aber zu Recht deutlich gemacht, dass sich das, was wir mit dieser Systematik als „Religion“ beschreiben, erheblich von dem unterscheidet, was die Gläubigen darunter selber verstehen. „Wenn ich beispielsweise meine Mutter, eine über 80-jährige Mühlviertler Bäuerin, frage, was für sie christlicher Glaube ist, dann wird sie mir kaum etwas über christologische oder ekklesiologische Lehrsätze erzählen, sondern über ihr in der Volksfrömmigkeit verankertes Glaubensleben und die praktische Nächstenliebe.“ Schon da: zwei Gesichter einer Medaille.
Blickwinkel
Was man unter Religion verstehe, so Winkler, hänge also sehr stark von den Parametern ab, die „wir anlegen“ – und diese seien oft, damit es noch komplizierter wird, auch bei bestem Bemühen von eigenen kulturellen Prägungen oder Machtinteressen überlagert. Winkler nennt dafür zwei Beispiele: So etwa seien viele von uns in der Schule erstmals mit dem Islam im Zusammenhang mit den Türkenbelagerungen in Berührung gekommen. Und er erinnere sich noch, wie der Lehrer sagte: ,Wäre da nicht Prinz Eugen gewesen, stünde heute auf unseren Kirchen der Halbmond.‘ Und der palästinensische Literaturhistoriker Edward W. Said habe zu Recht auf die Diskrepanz zwischen der abendländischen Faszination von der „mystische Tiefe des Orients“ (Indien als Born einer neuen Spiritualtät) bei gleichzeitiger Betonung der politischen, wirtschaftlichen und technischen Überlegenheit (Macht) des „aufgeklärten Westens“ hingewiesen. Und schließlich, so Winkler, gebe es noch die vielfach belegte Beobachtung, dass die Außensicht einer Religion sich auf das Bewusstsein der Menschen drinnen übertrage. Wenn der Islam im Westen über Jahrzehnte (seit Arafat) mit Terror in Verbindung gebracht werde, dann mache das auch etwas mit den Muslimen. „Als ich Anfang der 80er Jahre in Jerusalem studiert habe, war ich oft in der Westbank und im Gazastreifen. Da war Religion oder gar Religion als politische ,Munition‘ kein Thema. Heute ist das ganz anders.“
Finsteres Mittelalter
Die Behauptung, dass „der Islam“ eine despotische, zur Gewalt neigende, zivilisationsfeindliche Religion sei, lässt Winkler nicht gelten. So hätten umfassende Forschungen von Angelika Neuwirth zur Entstehungsgeschichte des Islam und des Koran gezeigt, dass es sich hier um einen Text der „europäischen Spätantike“ handelt, der in der Auseinandersetzung mit einer müde gewordenen hellenistischen Philosophie, einem sich verengenden Judentum, einem an den Kaiserkult angelehntes Christentum und den Sagen der Wüstenvölker entstanden ist. Seine damals faszinierende Botschaft war, dass jeder Mensch gleich ist vor Gott, von ihm angenommen allein durch sein Menschsein – ohne Rücksicht auf seinen Stand, seine Ethnie etc. Die sogenannte „Umma“, die weltweite geschwisterliche Gemeinschaft aller Menschen, sei etwas, so Winkler, das unserer viel späteren europäischen Aufklärung sehr nahe komme. Die abendländische Darstellung des Islam habe sich damit aber kaum auseinandergesetzt, wohl auch aus Angst vor den aufklärerischen Ideen für die eigenen Machtgefüge. Für uns war der Islam über Jahrhunderte die Eroberungsreligion der Oma- jaden und späterer Dynastien, eine Religion, die mit dem Schwert verbreitet wurde. Ein Urteil, das die Indigenas Lateinamerikas wohl auch über das Christentum fällen könnten.
Gewalt
Auf die Frage, was nun Boko Haram, Hamas, Al-Qaida, die ISIS-Kämpfer oder die jungen Dschihadisten aus Europa mit „dem Islam“ zu tun haben, meint Winkler: Da gibt es die relativ einfache Antwort, dass dahinter fast immer soziale, wirtschaftliche, ethnische oder auch persönliche Problemlagen stehen, die dann religiös „aufmunitioniert“ werden. Das sei aber nur die halbe Antwort. Denn dann stellt sich doch die schwerwiegende Frage: Warum ist Religion in der Lage, zur Munition zu werden? Das habe, so Winkler, etwas damit zu tun, dass Religionen das Potential haben, den Menschen Letztes abzuverlangen, wie das Beispiel der Kriegspredigten aus dem 1. Weltkrieg zeige. Gerade im Islam ist dieses Bewähren des Lebens vor Gott eine sehr ernste Sache. Da tiefste Glaubensüberzeugungen aber immer ein Stück weit über die natürliche Vernunft hinausgehen, sei es besonders wichtig, sie kritisch anfragen zu lassen. „Deshalb würde ich auch nicht sagen, Religionen würden von einigen Bösewichten oder Systemen ,missbraucht‘, nein, sie tragen in sich selber das Potential, Unheil anzurichten und Segen zu sein.“ Deshalb sei Religionskritik von außen – etwa die Frage, wie hältst du es mit den universellen Menschenrechten und dem Völkerrecht –, aber auch die selbstkritische Überprüfung nach innen, bis zum eigenen Verhalten, ein unerlässliches Korrektiv für jede Religion. Schon die prophetische Kritik im Alten Testament mache das deutlich. Es sei nicht zu leugnen, dass heute im Islam fundamentalistische Strömungen, die es auch in anderen Religionen gebe, einen stärkeren Zustrom haben als noch vor zehn oder 20 Jahren, sagt Winkler. Sie hätten leider auch die Mittel, entsprechende mediale Aufmerksamkeit zu finden. Dabei gehe oft unter, dass es in vielen Regionen auch einen anderen Islam gebe, einen friedfertigen und durchaus selbstkritischen.
Zur Sache
Schritte im Kleinen führen weiter
Dass sich der Islam mit pluralen Gesellschaften schwer tue, habe zum Teil auch etwas mit seinem „Urtrauma“ zu tun: Die Vision, eine universelle Gemeinschaft aller Menschen zu bilden, sei bereits durch die frühe Spaltung in Sunniten und Schiiten schwer beschädigt worden, meint Ulrich Winkler. Im Übrigen gebe es bei uns beides: Muslime, die sich sehr wohl in der Gesellschaft engagieren wollen und mit ihr auch in einen kritisch-selbstkritischen Diskurs treten, und solche, die einen Staat im Staat bilden. Eine Rückzugstendenz, die es auch sonst in der Gesellschaft gebe. Es daher ganz wichtig, dass man den Islam bewusst dort hinholt, wo die Diskurse nicht im Verborgenen, sondern öffentlich geführt werden, etwa an den Universitäten oder auch den Schulen, betont Winkler. Es gibt nicht die großen Patentlösungen, meint Winkler. Notwendig wären viele kleine Schritte, die man dort ansetzt, wo man Probleme sieht bzw. Begegnung möglich ist. Berührt sei er etwa, wie am Schulzentrum Friesgasse der Schulschwestern in Wien bewusst Muslime gefördert werden – ganz im Sinne des II. Vatikanums, das den Christen aufgetragen hat, andere Religionen nicht nur zu tolerieren, sondern die Spuren des Geistes in ihren religiösen Werten zu fördern.
Kopf der Woche: Univ. Prof. Dr. Ulrich Winkler