Warum Leid? Eine seriöse Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Mit den Erfahrungen des Leidens setzen sich biblische Schriften ebenso auseinander wie Philosophie und Theologie. Die Ökumenische Sommerakademie im Stift Kremsmünster ging drei Tage lang der Frage nach.
Hätte Gott die Welt nicht besser schaffen können? Hätte es für einen Gott, der Wasser in Wein verwandeln kann, keine Alternative gegeben zu diesem Fressen und Gefressenwerden der Tiere? Und hätte Gott die menschliche Freiheit nicht ohne die Neigung zu üblen Taten ausstatten können? Für den Mainzer Sozialphilosophen Norbert Hoerster sind all das Gründe, die nicht gerade für Gott sprechen, vor allem nicht für einen allgütigen Gott. Am Eröffnungstag der 17. Ökumenischen Sommerakademie, die von 15. bis 17. Juli im Stift Kremsmünster stattfand, legte der ehemalige Jesuitenschüler seine Gründe dar, die ihn zum Zweifler an Gottes Güte gemacht haben: „Ich glaube zwar an einen Gott, aber nicht an einen Gott, der sich um die Schicksale und Handlungen der Menschen kümmert“, fasst Hoerster seine Kritik zusammen.
Die Frage nach dem Warum des Leides bewegt. Insgesamt waren es rund 450 Menschen, die sich in der Sommerhitze zumindest an einem der drei Tage mit diesem Thema auseinandersetzten. Für den Theologen Magnus Striet aus Freiburg bleibt die Frage nach Gott offen, doch gäbe es für die christliche Theologie gute Gründe, auf Gott zu setzen. Das „Warum“ des Leides bleibt unbeantwortbar. Und dieser Gott mutet seinen Geschöpfen sehr viel zu. Die Frage nach dem Leiden wird Gott am Ende der Zeiten selbst beantworten müssen, meint Striet – vielleicht wäre die Antwort in seiner Menschwerdung zu finden: „Gott selbst wird Mensch, um sich in menschlicher Weise erfahrbar zu machen“, meinte Striet.
Wie ein Roman
Bücher und Texte der Bibel so zu lesen wie einen Roman, oder sie aufzunehmen wie einen vielstimmigen Bach-Choral. Dazu ermunterte Ilse Müllner, Professorin für Altes Testament in Kassel. Sie meint auch das Lesen der biblischen Texte mit all den geschilderten Leiderfahrungen: das Buch Hiob zum Beispiel; Hiob, der trotz seines untadeligen Lebens seinen Reichtum und seine Familie verloren hat und der nun Gott anklagt und den Tag verflucht, an dem er geboren wurde. Da kommen seine Freunde und wollen ihn trösten, wie sie es gelernt haben. Sie meinen es redlich.
Weinende Helden
In biblischen Büchern ist Klagen keine Frauensache, stellt Müllner fest. König David etwa wird als Weinender beschrieben, als er den Tod Sauls und seines Freundes Jonathan beklagt. „Das öffentliche Klagen mit äußeren Gesten und Weinen gehört in der biblischen Literatur zum Bild von Männlichkeit dazu“, so, wie einem die weinenden Helden auch in der griechischen Antike begegnen. Im Klagen und Beten erwarten sich die Beter Zuwendung durch Gott. Die biblischen Klagelieder besingen das Schrecklichste, was den Menschen passieren konnte – mit dem Aufschrei: Wo bleibt Gott? Selbst den Wunsch nach Vergeltung tragen Menschen in ihrem Leid vor Gott hin – und überlassen diesem die Antwort. „Die Psalmen fordern nicht zu Gewalt auf, sondern zum Gewaltverzicht; der Moment zwischen Gewaltwunsch und Gewaltausübung wird durch das Gebet unterbrochen, der Wunsch nach Vergeltung wird abgegeben an Gott“, betonte Müllner. In ihrem Vortrag schilderte die Theologin auch, wie die Psalmen durch das Leid zum Lob Gottes führen.
Leid von Gott
Dass die Erfahrung von Schwachheit und Leid einerseits und die Allmacht und Güte Gottes andererseits kein Widerspruch sein muss, stellte Ulrich Heckel, Professor für Neues Testament in Tübingen, am Beispiel des Paulus dar. Paulus war krank – und hat, wie er selbst sagt, im Leiden Gottes Zuwendung und Gegenwart erfahren. „Auch die Leiden der Welt gehen auf Gott zurück“, meint Heckel – Gott ist in diesem Sinn für das Leid „mitverantwortlich“.
Leid aushalten
„Glaubende sind vor den Schrecken des Lebens nicht besser geschützt als andere Menschen, auch Betende erfahren Flucht, Gefangenschaft, Folter, auch religiöse Menschen können Leiden nicht ungeschehen machen“, meinte die Marburger Theologin Ulrike Wagner-Rau. Religiöse Praxis müsse einen Raum für ein „Leidwesen“ offen halten. Es gehe darum „fremden Schmerz“ auszuhalten – in Anteilnahme für das Schicksal der Leidenden. Was solche Anteilnahme bedeuten kann, schilderte Cecily Corti, die Leiterin der VinziRast-Einrichtungen in Wien, die vor allem für Obdachlose tätig ist. Nicht aus einem Nachdenken über das Leid ist sie zu ihrem Engagement gekommen, sondern aus Betroffenheit. So hat sie sich im Jahr 2002 nach einem Vortrag des Grazer Armenpfarrers Wolfgang Pucher entschlossen, selbst aktiv zu werden. Sie glaubt nämlich, „dass es an jedem Einzelnen von uns liegt, wie es in der Welt weitergeht“. Doch Menschen nur ein Dach über dem Kopf zu sichern, sei nicht genug. „In Österreich muss niemand hungern, aber was der Staat nicht kann, ist lieben“.
Leben mit offenen Fragen
„Es ist ein Zeichen von Weisheit, mit offenen Fragen leben zu können. Aufgeklärte Menschen macht es traurig, aber den weisen Menschen beruhigt das, dass unsere Welt viel größer ist, als wir verstehen“, vermutet der Salzburger Theologe Clemens Sedmak. Auch in den Fragen des Leidens ergeht es dem Menschen so. Man liest etwa das Buch Hiob und versinkt tiefer und tiefer in der Erfahrung echten und tiefen Leidens. Und das Leiden ist nicht gerecht verteilt. Die Herausforderung sei, sich im Leiden nicht mit anderen zu vergleichen. Am Schlusstag der Ökumenischen Sommerakademie kamen Vertreter/innen der christlichen Kirchen zu Wort. Oberkirchenrätin Hannelore Reiner ging auf die Aufgabe der Kirchen ein: „In einer Gesellschaft, in der Gefühle verpönt sind, sind es die christlichen Kirchen, die Orte und Rituale schaffen, wo diese menschlichen Regungen öffentlich gestattet sind – eine Aufgabe, die dringend gebraucht wird“, meinte sie. Aber: „Trost kann nur angenommen werden, wenn die Kirchen auch den Mut haben, gegen vermeidbares Leid aufzutreten.“ Für Innsbrucks Bischof Manfred Scheuer ist die Palette, wie Menschen Trost finden können, vielfältig. Es kann eine Freundschaft sein, es können Bücher sein, die trösten. Manchmal helfen, wie Thomas von Aquin schon meinte, genug Schlaf und ein Bad. Und manchmal kann man sich Probleme auch vom Leibe schwitzen, meint Scheuer, der gerne in die Berge geht. „Die Seele muss zur Ruhe kommen können, braucht Zeiten der Stille und Freiräume, in denen wir uns nicht gehetzt und gedrängt fühlen.“