Wort zum Sonntag
Menschen haben geweint, haben von der Kathedrale als dem Herzen Frankreichs, von einem Symbol für ganz Europa gesprochen, von einem Schmerz, den sie in ihrem Inneren gespürt haben, als sie die Bilder der brennenden Kirche sahen. Die Flammen haben bei weitem nicht nur religiöse Menschen bewegt. Die kollektive Erschütterung über die Zerstörung eines kunstgeschichtlich einzigartigen Zeichens des Glaubens, der der überwiegenden Mehrheit der Franzosen und ganz vielen anderen Europäern wenig bis gar nichts bedeutet, lässt aufmerken.
Für Bischof Manfred Scheuer werde im Anblick der zerstörten Kirche möglicherweise sichtbar, „was sich in den Herzen und in den Beziehungen schon längst abgespielt hat, nämlich die Destruktion von Religion und Kultur“. Und er fragte bei der Missa Chrismatis im Linzer Mariendom: „Ist Notre-Dame so etwas wie ein Phantomschmerz Europas? Hie und da hat man das Bewusstsein: Es geht uns etwas ab ohne Religion.“
Der Philosoph Ludger Schwarter von der Kunstakademie Düsseldorf weist darauf hin, dass die Idee einer Kathedrale die einer Himmelsleiter ist. Eine Kathedrale sammelt „alle horizontale Unruhe in ihrem Inneren“ und vermittelt Menschen, die die Kirche besuchen, auch nichtreligiösen, eine besondere Stimmung.
Wenn ein scheinbar unvergängliches Gebäude wie eine Kirche, die auch für Nichtglaubende Symbol ihrer Heimatstadt oder ihres Landes sein kann, zu verschwinden droht, rüttelt das Menschen auf und erschreckt sie, betont der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel. Man dürfe solche Möglichkeiten nicht unterschätzen, dass Menschen dabei mit Kirche in Berührung kommen können.
Wort zum Sonntag
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>