Christian Landl ist Diakon und Seelsorger in den Pfarrgemeinden Schörfling, Weyregg und Steinbach am Attersee.
Der Tiroler Theologe Thomas Hackl lebt seit 26 Jahren in Rumänien, seit fast 20 Jahren ist er Programmdirektor für humanitäre Hilfe der Caritas Rumänien.
Thomas Hackl, der 24. Februar hat Europa verändert. Was sind die größten Herausforderungen für die rumänische Caritas?
Thomas Hackl: Wir hatten uns immer wieder auf Notfälle vorbereitet, haben überlegt, wie wir bei Hochwasser oder Erdbeben am schnellsten reagieren können. Mit Krieg haben wir nicht gerechnet, damit hat ja praktisch niemand gerechnet. Dennoch sind der Caritas Dinge gelungen, die ich so nicht für möglich gehalten hätte. Innerhalb von vier Tagen entstand am wichtigsten Grenzübergang das erste Caritas-Transitzentrum, gleich darauf öffneten zwei weitere Zentren mit je 50 Schlafplätzen. Inzwischen können wir zwischen 500 und 600 Unterkünfte in menschenwürdigen Umständen in der Nähe der Grenze anbieten und weitere Plätze in der Hauptstadt Bukarest. Bukarest ist eine häufige Zwischenstation für Menschen, die weiterwollen. 600.000 Flüchtlinge sind bisher über die ukrainisch-rumänische Grenze gekommen, an die 90.000 sind weiterhin hier.
Was brauchen die Kriegsflüchtlinge, wenn sie nach Rumänien kommen?
Hackl: In den ersten Tagen war ich an der Grenze, um mir ein Bild davon zu machen. Es war bewegend zu sehen, wie engagiert viele angepackt haben! Gleichzeitig war es chaotisch und es gab Konkurrenz zwischen verschiedenen Gruppen, die helfen wollten. Große Sorge bereitete uns die Sicherheit der Frauen und Kinder. Es konnte ja jeder ohne Kontrolle an die Grenze kommen und Frauen und Kindern Mitfahrgelegenheit anbieten. Meine Kollegin war dabei, wie die Grenzpolizei drei Frauen bat, aus einem Privatauto wieder auszusteigen. Offenbar gab es verdächtige Hinweise. Später erfuhren wir, dass der „Helfer“ bereits einmal wegen Menschenhandels verurteilt war. Solche Geschichten gab es leider. Auch Ordensfrauen haben erzählt, dass die Frauen, die bei ihnen übernachteten, dubiose Angebote für eine Weiterreise nach Italien bekommen hatten. Sie organisierten daraufhin sichere Alternativen. Wir empfehlen den Flüchtlingen, im Zweifelsfall mit dem Zug zu fahren. Aus mehreren rumänischen Städten gibt es direkte Zugverbindungen nach Wien. Bald wurde mithilfe der UNICEF ein Grenzmanagement aufgebaut, die Ankommenden werden nun durch ein Zelt geschleust und bekommen sicheren Transport.
Was bewegt Sie besonders?
Hackl: Die Geschichten der Menschen. Die Lage ist oft kompliziert. Eines Tages stieg zum Beispiel eine ukrainische Frau mit ihrem drei Wochen alten Baby am Arm aus dem Bus. Ihr Mann kommt aus dem Libanon. Aus der Ukraine fliehen ja nicht nur Ukrainer/innen, sondern Menschen verschiedener Herkunft. Die Frau hatte noch Schmerzen vom Kaiserschnitt, außerdem machte sie sich Sorgen um ihr Kind, das noch keine ärztliche Untersuchung erhalten hatte. Und außer einer Geburtsurkunde hatte es auch keine Papiere. Diese Familie brauchte auf verschiedene Weise Unterstützung, mittlerweile ist sie glücklich in Berlin angekommen. In den kommenden Wochen bauen wir fünf weitere Zentren für Sozialarbeit auf. Es warten neue Herausforderungen. Viele Flüchtlinge sind spontan privat untergekommen. Das funktioniert einige Wochen gut, aber danach wird es schwieriger, und es braucht vielleicht andere Lösungen.
Arbeiten Sie mit der ukrainischen Caritas zusammen?
Hackl: Ja, wir sind im guten Kontakt. Wir liefern auch humanitäre Hilfe in die Ukraine. Dafür haben wir eine geographisch günstige Lage. Denn die Hilfslieferungen aus Polen kommen zunächst in die Westukraine, aus der Slowakei oder Ungarn nach Transkarpatien. Wir kommen auch weiter in den Osten. Bisher haben wir 70 Tonnen Hilfsgüter geliefert. Aber nur das, was die Caritas Ukraine von uns wirklich möchte. Das ist zum Beispiel keine Kleidung!
Wird zu viel Kleidung gespendet?
Hackl: Ja. Wenn Kleidung nötig ist, dann saubere und sortierte, nicht raue Mengen von aussortierten Altkleidern. Das Problem hatten wir in Rumänien bereits 2005. Nach dem riesigen Hochwasser wurde gescherzt, man könnte die löchrigen Dämme stopfen mit der Menge an Kleidung, die gebracht wurde. Wir gehen mehr und mehr auch in Rumänien neue Wege, dass wir etwa keine Lebensmittel übergeben, sondern Gutscheine. Dann können sich die Menschen selbst aussuchen, was sie essen wollen. Eine Frau, die mit ihren Kindern über die Grenze kommt, fängt wenig an mit ein paar Kilo Konservendosen. Die Versorgungslage in Rumänien ist völlig ausreichend, es gibt im Geschäft alles Nötige. In der Ukraine ist das anders. Denn dort sind die Häfen blockiert. Da wird die Versorgung tatsächlich schwieriger.
Rumänien hat nicht wenige soziale Probleme im eigenen Land. Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen?
Hackl: Die Stimmung ist sehr gut und unterstützend, sie hat sich sogar positiv entwickelt. Die Ukraine und Rumänien waren nicht gerade die besten Nachbarn. Sie haben auf 650 km gemeinsamer Grenze nur vier Übergänge. Seit Kriegsbeginn ist die Stimmung wesentlich freundlicher geworden.
Wie schafft die Caritas die Herausforderungen? Stellen Sie mehr Leute an oder läuft alles ehrenamtlich?
Hackl: Beides. Zusätzlich arbeiten viele Angestellte nahezu ununterbrochen. Es ist nämlich nicht so leicht, Sozialarbeiter/innen zu finden. Viele ausgebildete Menschen sind ins Ausland gegangen. Und der Staat zahlt im Sozialbereich wesentlich besser als die Caritas, da können wir nicht mit. Zum Glück haben wir auch einen unglaublichen Einsatz von Freiwilligen! In einem Ort war zum Beispiel ein Alten- und Pflegeheim in Bau, es sollte bald fertig werden, aber es fehlten noch alle Bäder und Böden. 50 Freiwillige haben diesen Bau an nur einem einzigen Wochenende fertiggestellt, damit Flüchtlinge einziehen konnten.
Wie wird es weitergehen mit den Flüchtlingen?
Hackl: Das ist schwer zu sagen. Manche wissen schon, dass ihre Wohnung nicht mehr existiert. Manche fahren weiter in das Land, aus dem sie stammen – etwa Tadschikistan, Turkmenistan, Indien, Marokko … Manche wollen nicht weit weg, weil sie immer noch hoffen, dass sie bald zurückkönnen. Andere haben in Rumänien bereits einen Arbeitsplatz gefunden. Wir brauchen zum Beispiel dringend Psycholog/innen, die Ukrainisch können. Viele, die hierherkommen, sind aus dem städtischen Bereich. Es sind Immobilienmakler/innen, Bankangestellte und so weiter. Leider können viele nicht Englisch. In Rumänien gibt es aber eine einheimische ukrainische Minderheit, das ist nun sehr hilfreich. Mit ihrer Hilfe ist es schnell gelungen, Übersetzungsdienste aufzubauen. «
Christian Landl ist Diakon und Seelsorger in den Pfarrgemeinden Schörfling, Weyregg und Steinbach am Attersee.
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