Vor 100 Jahren wurde Kardinal Julius Döpfner geboren.
Ausgabe: 2013/34, Kardinal, Döpfner, Weiß, Wyszynski, Papst Johannes XXIII,
20.08.2013 - Hans Baumgartner
Er ist eine der markantesten Gestalten der deutschen Nachkriegskirche; er war einer der führenden Bischöfe auf dem II. Vatikanischen Konzil; vielen galt er als „Macher“, doch in Wahrheit ging es ihm immer darum, die christliche Botschaft den Menschen der jeweiligen Zeit nahezubringen.
Am 26. August 1913 wird Julius Döpfner als viertes von fünf Kindern in Hausen bei Bad Kissingen in eine arme Hausdiener- und Kleinbauernfamilie hineingeboren. Mit einem Stipendium kann er das bischöfliche Seminar in Würzburg besuchen. Bereits ein halbes Jahr nach seinem Eintritt ins Priesterseminar schickt ihn sein Bischof ans Collegium Germanicum nach Rom, wo er 1941 an der Päpstlichen Jesuitenuniversität Gregoriana promoviert. 1948 wird er zum Bischof von Würzburg ernannt, mit 35 Jahren der jüngste in Europa.
Gottesreich
Döpfner packt mit einem unglaublichen Elan seine Aufgabe an, „das Gottesreich in Unterfranken“ aufzubauen, sagt der Würzburger Kirchenhistoriker Wolfgang Weiß. Er organisiert das Laienapostolat neu; selbstbewusste, aktive Christen will er, die die Gesellschaft nach einem christlichen Leitbild prägen – aber immer unter der Leitung der Hierarchie – ähnlich wie das die Bischöfe in Österreich mit der Katholischen Aktion wollten. Er lässt mehrere regionale Kirchentage organisieren, durchaus auch als Zeichen einer starken Kirche, die über ihren Binnenbereich hinaus gestalten will. Seine Vorstellung vom „Gottesreich“ geht weit in die Gesellschaft hinein. Er gründet eine eigene Tageszeitung und ein eigenes Filmwerk, um die „guten Medien“ zu fördern. In seinen Predigten und Hirtenbriefen findet er deutliche Worte gegen den Verfall des Glaubens, der zum Brauchtum zu verkommen drohe. Und er fordert auch von der neuen CSU eine klare christliche Linie. „Er setzt die Tradition des politischen Katholizismus der Zeit vor dem Nationalsozialismus fort und findet dabei durchaus breite Zustimmung im Volk“, sagt Weiß. Dazu kommt eine große Wachsamkeit für die sozialen Nöte der Menschen. Im großteils kriegszerstörten Würzburg stellt er den Wiederaufbau des Domes zurück und lässt dafür Wohnungen bauen. „Der Wohnungsbau“, so sagt er, „ist der wahre Dombau.“
Neue Welt
Als Döpfner 1957 zum Erzbischof von Berlin berufen wird, lässt er nicht nur die Baustelle am Dom unvollendet zurück. „Man findet bei ihm schon in den letzten Würzburger Jahren ein beginnendes Umdenken, ob er mit den bisherigen Vorstellungen und Mitteln die Kirche als Werkzeug der Gottesbotschaft der Zeit entsprechend weiterentwickeln kann“, meint Weiß. In Berlin findet Döpfner eine völlig andere Situation vor und reagiert darauf. Die Katholiken sind eine kleine Minderheit und Döpfner beginnt statt vom „Gottesreich“ von der „Kirche als Heimat für die kleine Herde“ zu sprechen. Er erkennt, dass es in der Diaspora auf die persönliche Glaubensentscheidung viel stärker ankommt als auf eine durchstrukturierte Kirche, die von „oben“ den Takt angibt. Er lernt, in der pluralen Großstadt über die Kirche hinaus Partner zu finden, bei Gläubigen wie bei Nichtgläubigen. Und er entdeckt die Ökumene als gemeinsame „Überlebensgemeinschaft“ – im liberalen Westberlin ebenso wie im kommunistisch dominierten Ostteil der Stadt. Im evangelischen Bischof Dibelius findet er nicht nur einen freundschaftlichen und starken Mitstreiter, er lernt auch den Protestantismus als ernsthaften christlichen Weg schätzen. Der neue Blick über den eigenen Tellerrand zeigt sich auch in zwei beachtlichen Initiativen Döpfners: Als es in Berlin zu antisemitischen Aktionen kommt, ergreift er entschieden für die Juden Partei und weist mit Worten, die man erst Jahre später im Konzilsdokument „Nostra aetate“ findet, jede Judenfeindlichkeit als antichristlich zurück. Damit setzt er sich ebenso der Kritik aus wie mit seiner „Hedwigspredigt“ 1960, als er mitten im Kalten Krieg zur Aussöhnung mit Polen aufrief, ein durch Krieg und Vertreibung besonders vermintes Thema.
Konfrontation
In der Auseinandersetzung mit dem kommunistischen SED-Staat fuhr Döpfner einen durchaus kämpferischen Kurs, „wohl auch“, so Wolfgang Weiß, „weil er sich nicht denselben Vorwürfen aussetzen wollte, wie sie gegen viele Bischöfe während der NS-Zeit erhoben wurden. Er geriet damit aber auch in eine kirchenpolitische Sackgasse. So etwa konnte er die im Hinterland von Ostberlin gelegenen Teile seiner Diözese nicht mehr besuchen. Vermutlich mit ein Grund, warum ihn Papst Johannes XXIII., der mehr auf pastorale Wirkmöglichkeiten als auf ideologische Konfrontationen setzte, im Jahr 1961 zum Erzbischof von München-Freising berufen hat – gegen den ausdrücklichen Willen Döpfners.“
Einlassen
In München habe Döpfner zunächst an seine Würzburger Zeit angeknüpft. Weiß nennt das seine „katholizistische Versuchung“. Denn bald schon habe Döpfner gemerkt, wie sehr es unter der Decke in der Kirche und Gesellschaft brodelt. Und er habe versucht, diese Dinge sehr ernst zu nehmen, „was überhaupt ein Grundzug von ihm war, Zeichen der Zeit sowie die konkreten Menschen sehr ernst zu nehmen, auch wenn er selbst anderer Meinung war“. Das komme auch in seinem Wahlspruch „Wir verkünden Christus, den Gekreuzigten“ zum Ausdruck: „Eine Kirche, die sich entäußert, agiert nicht aus der Position der Macht, sondern muss sich ganz auf den anderen einlassen.“
Konzil
Von diesem Einlassen auf die Entwicklung der Gesellschaft, auf die Sorgen, Nöte und Hoffnungen der Menschen um des Evangeliums willen, war auch Döpfners Engagement auf dem II. Vatikanischen Konzil geprägt. Bereits 1961 berief in Papst Johannes XXIII. in die Zentrale Vorbereitungskommission. Schon vor Beginn des Konzils habe er, so Weiß, im mitteleuropäischen Raum nach Verbündeten gesucht, damit die von der römischen Kurie ausgearbeiteten Dokumente nicht einfach durchgewunken werden. Sein Ziel war es, dass die Bischöfe das Konzil in die Hand nehmen. Er wurde so zu einer der führenden Persönlichkeiten der „fortschrittlichen“ Bischöfe im deutschsprachigen Raum, bestens vernetzt auch mit französischen und niederländischen Bischöfen. Auch der damalige Mailänder Kardinal Montini schätzte Döpfner und hatte großen Einfluss, dass der italienische Episkopat wichtige Abstimmungen möglich machte. 1963 ernannte der zum Papst gewählte Montini (Paul VI.) Döpfner zu einem der vier Konzilsmoderatoren, wohl, so Weiß, weil er dessen Organisationstalent, Tatkraft und kirchliche Loyalität schätzte, aber auch, weil er dadurch die Gruppe der Reformer stärker in die Verantwortung einbinden wollte. Für Döpfner waren das auch gewisse Fesseln, weil er mehr auf mögliche Kompromisse als auf seine Position schauen musste.
Brückenbauer
Als ab den späten 60er-Jahren die gesellschaftliche Eruption auch die Kirche ergriff, war Döpfner ein unermüdlicher Brückenbauer. In vielen – auch harten – Auseinandersetzungen bemühte er sich mit aller Kraft darum, die progressiven Vorwärtsstürmer ebenso wie die konservativen Bewahrer im Boot der Kirche zu halten. Besonders hart, so Weiß, trafen ihn die Vorwürfe konservativer Kreise, dass er dem Verfall der Kirche zu wenig entgegentrete. Er, der vom Konzilsereignis auch spirituell zutiefst beeindruckt war, tat bis an seine psychisch-physische Grenze alles, um den für ihn unausweichlichen Aufbruch der Kirche in eine neue Epoche gut zu gestalten – als Vorsitzender der Bischofskonferenz und Präsident der Gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer (1971–75). In diese hat er alle Energie investiert, um die unterschiedlichen Gruppen in ein strukturiertes Gespräch miteinander zu bringen und gemeinsam Weichen für die Zukunft zu stellen. Er geriet dabei auch zunehmend in ein Spannungsfeld mit Rom, weil man dort begann, die Luken wieder dicht zu machen. Bei allen Enttäuschungen über den sinkenden Kirchenbesuch, die vielen Laisierungen oder die schwindenden Berufungen sah Döpfner auch die Aufbrüche in den Gemeinden, das neue Engagement vieler Laien, die neue Lebendigkeit in der Theologie. Wie kann Kirche in der jeweiligen Situation Dienerin der Botschaft Jesu sein – das war die brennende Frage, die ihn immer umtrieb.
Zur Sache
Julius Döpfner als jüngster Bischof Europas in Würzburg. Er wollte dort nach den seelischen und materiellen Verwüstungen der NS-Zeit wieder eine starke, selbstbewusste Kirche im „katholischen Unterfranken“ aufbauen. Eine möglichst in allen Bereichen vom Katholizismus durchdrungene Gesellschaft war sein Leitbild. Dazu gehörte auch ein breit gefördertes Laienapostolat. Kardinal Stefan Wyszynski aus Warschau im Gespräch mit Julius Döpfner auf der Bischofssynode 1971 in Rom. Da war das Projekt einer von den Bischöfen beider Länder angestrebten Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland bereits voll im Gang. Begonnen hat es mit der Predigt Döpfners zum Hedwigsfest 1960. Im Jahr 1965 schrieben die polnischen Bischöfe ihren berühmten Brief „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ 1970 kniete Kanzler Willy Brandt am Ehrenmal der Opfer des jüdischen Aufstandes.
Papst Johannes XXIII. flankiert von Kardinal Josef Frings und Kardinal Döpfner, den führenden deutschen Konzilsbischöfen.