Hühner sind gesellig, hacken manchmal auf anderen herum und reden gerne über die Eier, die sie gelegt haben. Menschen auch. Ein Unter Uns von Christine Grüll.
Ausgabe: 2014/24, Hühner, Menschen
11.06.2014
- Christine Grüll
Kürzlich durfte ich im Zug einer Frau zuhören, die ihrem Mitreisenden viel zu erzählen hatte. Laut und ausdauernd sprach sie von den vielen Aufgaben, die sie an ihrem Arbeitsplatz zu bewältigen hatte und wie sie das alles mit Fleiß schaffte. Ihr Tonfall war positiv aufgeregt, manche Wörter trompetete sie förmlich heraus. Ich konnte die Frau nicht sehen. Aber vor meinem inneren Auge entstand das Bild eines flügelschlagenden Hendls, das ihr frisch gelegtes Ei anpries. Dann kam die Rede auf eine Arbeitskollegin, die die Rednerin nicht mochte. Worte wie „Luder“ fielen. Der Erzählton wurde schärfer, ein wenig zischend und scharf wie ein spitzer Hühnerschnabel. An der nächsten Zughaltestelle stieg die besagte Arbeitskollegin ein. Blitzschnell wechselte das Thema zum Wetter. Das restliche Gespräch verlief glucksend.
Während ich meine Federn äh Kleider zum Aussteigen glattstrich, dachte ich noch: Menschen sind wie Hühner. Nur weniger ehrlich. Aber das ist für ein friedliches Miteinander sicher von Vorteil.