Es gibt Menschen, die mit der fortschreitenden Dauer des Lebens so gar nichts Wichtiges, Schönes und Faszinierendes mehr entdecken können. Ein Leitartikel von Matthäus Fellinger
Ausgabe: 2014/41, Leitartikel
07.10.2014
„... und dann würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.“ Reinhard Meys Lied „Über den Wolken“ erzählt es so, und der Liedermacher beschreibt damit eine Erfahrung des Lebens. Der Abstand, auch der größere Überblick, lässt Sorgen und Wichtigkeiten des Lebens verblassen. Die Trauer ist nicht mehr ganz so stark. Zeit, sagt man, heilt Wunden, und sie tun dann nicht mehr so weh. Was man unbedingt einmal haben wollte, irgendwann steht es unbeachtet herum. Es gibt Menschen, die mit der fortschreitenden Dauer des Lebens so gar nichts Wichtiges, Schönes und Faszinierendes mehr entdecken können. „Mir kannst du nichts mehr erzählen“, sagen sie. Alles schon da gewesen. Alles, was einmal wichtig war, ist klein geworden. Ihre Tage werden leer. Es gibt auch die anderen. Mehr und mehr entdecken sie, wie kostbar eigentlich all das war, das am Rand ihrer Lebenswege unbeachtet blieb. Ihre Aufmerksamkeit, auch ihre Neugier wächst – und ihre Tage werden voll. Reinhard Meys Liedtext müsste man noch eine Strophe hinzufügen, mit dem umgedrehten Refrain am Ende: „... dann würde, was uns nichtig und klein erschien, plötzlich wichtig und groß.“