Diskretes und Indiskretes von Eheleuten in Pension
Ausgabe: 1998/38, Diskretes und Indiskretes
15.09.1998 - Kirchenzeitung der Diözese Linz, Hilde Ehrenberger
Heute hat es mich erwischt. Alles tut mir weh. Dabei sind Eiskasten und Kühlschrank leer – ein Großeinkauf ist notwendig. Wie soll ich das nur schaffen?„Sag einmal“, mache ich mich vorsichtig an meinen Eheliebsten heran, „was hältst du davon, mir einmal beim Einkaufen zu helfen? Zu zweit schaffen wir es in der halben Zeit! Und wenn wir alles hinter uns haben, lade ich dich zum Mittagessen ein.“„Du bist wenigstens eine soziale Arbeitgeberin“, sagt er seufzend und unwillig. „Aber die Gnädige weiß, was sie ihrem Chauffeur schuldig ist . . .“.Wir brauchen genau die halbe Zeit. Dann sitzen wir in unserem Stammbeisel und studieren die Speisekarte.„Weißt du“, sage ich, „das war heute ganz toll. Normalerweise sind diese Einkaufmarathons eine fürchterliche Plage für mich. Aber mit dir – das reinste Vergnügen! Könnten wir das nicht öfter machen?“ „Es wird dir doch nicht immer schlecht sein?“ grunzt er abwehrend.„Schau“, schmeichle ich, „für mich war der Tag halb so anstrengend.“„Aber für mich halb so angenehm“, sagt er.Ich lache. „Standpunktsache, ob die Flasche halb voll ist oder halb leer. Heute hast du dich für den Negativstandpunkt entschieden, sonst bin ich es doch, nicht wahr? Aber überleg einmal: Wie lange wird es noch dauern, daß ich alles alleine machen kann? Glaubst du wirklich, daß uns dann eins unserer gutwilligen Jungen beistehen kann? Die sind doch alle berufstätig, haben ihre eigene Familie, haben ihr eigenes Leben zu meistern.“„Irgendwer wird uns schon helfen“, brummt er.Aber ich lasse nicht locker: „Ich habe gelesen, daß man bei unserer langen Lebenserwartung unterscheiden muß zwischen jungen Alten und alten Alten. Und die jungen Alten sind es, die einander und den alten Alten helfen sollen. Du kannst nicht auf die ganz Jungen warten, die im Arbeitsprozeß stehen, und dich darüber aufregen, wie undankbar und rücksichtslos sie zu uns sind. Also los, junger Alter, hilf mir auch das nächste Mal!“„Ach so? Ich bin ein junger Alter? Und was bist dann du, du arme, hilfsbedürftige Frau?“ schmunzelt er.„Heute habe ich mich gefühlt wie eine alte Alte. Aber Gott sei Dank, das ist noch nicht der Dauerzustand! Schieben wir die Zeit möglichst lange hinaus, wo wir wirkliche fremde Hilfe brauchen. Wie pflegt mein Herr und Gebieter immer zu sagen?“„Miteinander sind wir gut“, lacht er.Braucht man Großeltern?oder Instanz„Großvater“, ertönt die tiefste Stimme unserer Familie am Telefon. Sie gehört unserem hoffnungsvollen Enkelsproß. „Großvater, wie ist das mit dem Europäischen Wirtschaftsraum? Ich habe ein Referat zu halten.“„Ruf mich in einer halben Stunde wieder an.“ Und schon rotiert unser Familienauskunftsbüro, wälzt hier ein Lexikon, kramt dort in alten Zeitungsartikeln, sucht Bilder, Grafiken, Diagramme. „Und dann fragst du mich, was ich den ganzen Tag mache“, stöhnt unsere Auskunftei. Sei’s drum. Er hat einen Ruf, mein Eheliebster! Was man nicht weiß, erfährt man sicher bei ihm. Söhne, Töchter, Enkel, Enkelinnen, Geschwister samt „Angeheirateten“ benutzen sein Computerhirn – ob es sich um knifflige Kreuzworträtselfragen handelt oder um politische, historische oder künstlerische Probleme. Als man unseren Enkel vor Jahren fragte, was er einmal werden möchte, sagte er: „Alles wissen wie der Großvater.“Inzwischen ist auch der Großvater nicht mehr auf einem so ganz hohen Podest, aber für Auskünfte aller Art ist er noch immer gut. Die Zeit des Vorlesens, Vorsingens und In-den-Prater-Führens ist vorbei. Die Enkel sind uns über den Kopf gewachsen, haben Freund und Freundin, bleiben nächtelang weg, haben ihre eigenen Lebensformen.Was bedeuten wir ihnen noch?Auskunftei?Haben wir wirklich keine andere Funktion mehr, als uns zu den Festtagen mit einem Kuvert einzustellen? „Das übliche“, stellte unsere Enkelin mit unnachahmlicher Süffisanz fest. Aber ihr Ton ist zu charmant, als daß man beleidigt sein könnte.So haben wir ihnen auch heuer wieder das „Übliche“ unter den Christbaum gelegt. Prompt kam ein Echo: „Nur der Name drauf? Nicht einmal ein Karterl oder sonst etwas?“ Ich habe mich sehr bei der Nase genommen. Sind sie doch nicht nur auf das „Übliche“ bedacht? Vermissen sie unsere wenigen Worte, unsere Glücks- und Segenwünsche?Sie wollen mehr als das „Übliche“. Es gilt, ihnen das zu geben, was sie brauchen, und was noch im Bereich unserer Möglichkeiten liegt: Unser Wohlwollen, unsere Zuneigung, unsere Anteilnahme – und das sichtbar und lesbar!Wir sind „Instanz“ geworden – anscheinend brauchen sie die auch.PS: Generationen. „Es ist ein Jammer mit unserer Weisheit und Erfahrung. Die lassen sich einfach nicht vererben“, sagt mein Eheliebster. „Es sieht so aus, als müßten die Jungen die Welt immer neu erfinden.“ „Ganz neu nicht, aber frisch anfärbeln tun sie’s halt“, meine ich. Er lacht: „Aber darauf warten, daß auch der neue Firnis abblattelt, das darf man doch, wenn es nicht mit zuviel Schadenfreude geschieht.“ Ich nicke.