Am Dritten Fastensonntag hat sich Bischof Maximiian Aichern an die Gläubigen der Diözese Linz in einem Fasten-Bischofswort gewandt. Die Kirchenzeitung dokumentiert für Sie den Brief:Die Fastenzeit ist ein Ruf um Erbarmen, ist das große KYRIE ELEISON der Kirche vor dem Osterfest. Das dritte und letzte Vorbereitungsjahr auf das Jahr 2000 ist nach dem Wunsch des Papstes in besonderer Weise Gottvater geweiht. An ihn wenden wir uns mit den Worten des Tagesgebetes: „Gott, unser Vater, du bist der Quell des Erbarmens und der Güte; wir stehen als Sünder vor dir, und unser Gewissen klagt uns an. Sieh auf unsere Not und laß uns Vergebung finden durch Fasten, Gebet und Werke der Liebe.“ Von diesem „Quell des Erbarmens“ spricht Jesus mit der samaritischen Frau, wie das Evangelium berichtet: „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (Joh 4, 14).Gott erbarmt sich aller Der christliche Glaube hat seine Wurzel in den Erfahrungen des Volkes Israel (vgl. Röm 11, 17–18). Andere Völker rechneten mit verschiedenen Göttern wie mit gefährlichen Mächten, vor denen man sich schützen muß. Sie brachten ihnen Opfer dar, um sie günstig zu stimmen und sich vor ihrer Macht zu retten. Israel aber hat erfahren, daß Gott sein Retter ist. Ja noch mehr: Er ist der Vater aller Menschen. So fragt schon der Prophet Maleachi: „Haben wir nicht alle denselben Vater? Hat nicht der eine Gott uns alle erschaffen? Warum handeln wir dann treulos, einer gegen den andern, und entweihen den Bund unserer Väter?“ (Mal 2, 10). Israel hat gewußt, daß Gott sein Erbarmen nicht nur seinem Volk schenkt. Schon dem Abraham hat Gott verheißen: „Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“ (Gen 12, 3). Der Prophet Jesaja hat von Gott gesagt: „Er stellt für die Völker ein Zeichen auf“ (Jes 11, 12). Das Erbarmen, das Gott seinem Volk schenkt, soll ein Zeichen sein für das, was er an allen Menschen und Völkern tut.Die Offenbarung des Erbarmens GottesDer Glaube Israels ist bekräftigt und bestätigt in Jesus Christus. „Er spricht nicht nur vom Erbarmen und erklärt es mit Hilfe von Gleichnissen und Parabeln, er ist vor allem selbst eine Verkörperung des Erbarmens, stellt es in seiner Person dar. Er selbst ist in gewissem Sinne das Erbarmen. Für den, der es in ihm sieht – und in ihm findet –, wird Gott in besonderer Weise ,sichtbar‘ als Vater, ,der voll Erbarmen ist‘ (Eph 2, 4).“ So hat der Papst in einem Schreiben „Über das göttliche Erbarmen“ erklärt. In der Fastenzeit, die in die Karwoche und in das Osterfest mündet, versenken wir uns in das Geheimnis Christi, „um in ihm das Antlitz des Vaters zu entdecken, der der ,Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes‘ (2 Kor 1, 3) ist“.Lebensgrund der KircheAuch die Kirche lebt vom Erbarmen Gottes. Viele Menschen in unserem Land, die sich ihr zugehörig fühlen, leiden unter manchen Vorgängen der letzten Jahre. In dieser Unzufriedenheit verlassen manche Christen die Kirche wie eine Vorstellung, die ihnen nicht mehr gefällt; sie vergessen dabei, daß sie ja selbst die Kirche mit darstellen und diese auch nach ihrem Verhalten als Christen beurteilt wird. Denn allen, die Jesus nachfolgen, gilt sein Wort: „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt 5, 16).Andere versprechen sich eine Besserung der Lage durch Ausschluß jener, die sich ihrer Meinung nach nicht christlich verhalten und dem Ansehen der Kirche schaden. Sie erscheinen ihnen als Unkraut, nicht als Weizen. Jesus aber hat gesagt: „Laßt beides wachsen bis zur Ernte“ (Mt 13, 30).Wer sich an der Bibel orientiert, wird mit einem Wort des Propheten Jesaja an das Erbarmen Gottes erinnert: „Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus“ (Jes 42, 3). Wenn Gott solche Geduld mit uns hat, müssen auch wir miteinander Geduld haben. Die Kirche lebt von Gottes Erbarmen und von der Barmherzigkeit ihrer Mitglieder. Auch ihr gilt das Wort Jesu: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ Die Pflicht zur Vergebung ist mit der Kirche so stark verbunden, daß sie sogar als Sakrament dargestellt wird. Für die Feier des Bußsakramentes ist vor allem die österliche Zeit vorgesehen. Die Vergebung ist ja das große Anliegen des Auferstandenen. Am Abend des Ostertages sagte er zu seinen Jüngern: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (Joh 20, 23). Dieses Wort des Auferstandenen klingt nach in den eindringlichen Aufrufen der Apostelbriefe: „Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (Kol 3, 13). „Seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat“ (Eph 4, 32). „Bekennt einander eure Sünden, und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet“ (Jak 5, 16). Auch der Papst weist darauf hin, „daß wir zugleich von denen Erbarmen empfangen, denen wir es erweisen.“ Jedes Mitglied der Kirche steht somit vor der Frage: Will ich einer Glaubensgemeinschaft angehören, die nicht auf Makellosigkeit, sondern auf Vergebung gegründet ist?Die Kirche ist gerade dadurch Botschafterin und Zeichen des Erbarmens Gottes mit allen Menschen, daß sie die ihr geschenkte Barmherzigkeit weiterschenkt. Wenn sie es nicht tut, trifft auch sie und ihre Mitglieder das Wort Jesu aus dem Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht: „Du elender Diener! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich so angefleht hast. Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?“ (Mt 18, 32–33).„Das echte Erbarmen ist … die tiefste Quelle der Gerechtigkeit,“ schreibt der Papst. Barmherzigkeit ist kein bloßes Gefühl des Mitleids, sondern das Eintreten für die Rechte der Mitmenschen und die Bemühung, ihnen „gerecht“ zu werden. Barmherzig ist, wer für die Armen ein Herz hat, das ihm auch die Hände öffnet. Der Papst schreibt in seiner Botschaft zur Fastenzeit: „Nicht nur einzelne haben Gelegenheit, Arme an ihrem Wohlstand teilhaben zu lassen.“ Er weist darauf hin, daß auch internationale Institutionen, Staatsregierungen und die Zentren der Weltwirtschaft „zu mutigen Wegen verpflichtet sind, Güter innerhalb der jeweiligen Länder und zwischen den Völkern gerecht zu verteilen.“ Barmherzigkeit ist also nicht nur Gewissenssache des einzelnen, sondern auch Sache des öffentlichen Lebens.Die Barmherzigen glauben daran, daß das Gebet, das wir so oft sprechen, erhört ist: Der allmächtige Gott erbarme sich unser. Er lasse uns die Sünden nach und führe uns zum ewigen Leben.