Palästina, 70 Jahre nach Christi Geburt. Römische Truppen stürmen Jerusalem. Der Tempel geht in Flammen auf – und mit ihm die erwartungsvollen Hoffnungen vieler Menschen. Es verbreitet sich
Endzeit-Stimmung. Die Zerstörung des Tempels gilt nicht wenigen Juden als Zeichen für das herein-brechende Ende. Ängstlich und fragend blickt auch eine christliche Gemeinde nach Jerusalem: es ist die Gemeinde, für die Markus sein Evangelium schreibt. Neben der Katastrophe in der „Heiligen Stadt“ und der damit verbundenen Endzeit-Erwartung beunruhigen „selbst ernannte Propheten“, Kriege und Kriegs-gerüchte die junge Christenheit noch zusätzlich. Wann also kommt die Endzeit und was sind die Zeichen dafür – das waren die damals drängenden Fragen, auf die unser Evangelist eingehen soll.
Und die Antwort des Markus ist erstaunlich: Er holt nämlich zunächst all jene, die in angespannter apokalyptischer Erwartung leben, „auf den Boden“ zurück. Er entspannt den gebannten Blick auf das „Ende“ und seine vermeintlichen Vorzeichen, lockert den Druck. Immer wieder betont der Evan-gelist Markus in seiner „Endzeitrede“ (Mk 13): Die Gegenwart ist trotz ihrer Bedrohungen nicht die Endzeit!
Ja, Markus geht noch weiter und stellt – im Sinne Jesu – das Wissen von geheimen Terminen, Zeiten und Zeichen in Frage. So hören wir im heutigen Evangelium Jesus sprechen: „Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, . . . nur der Vater.“ Dieser Satz muss wohl das Ergebnis eines langen Ringens sein! Zwei Sätze früher klingt es nämlich noch ganz anders: „Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft.“
Aus dem ungeduldigen, angespannten Warten der frühen Christen ist mit der Zeit ein geduldiges, bewusstes und „waches“ Warten geworden – ohne neugierigen oder hysterischen Blick auf „Endzeit-Daten“. Das spiegelt sich auch in einem bestimmten Lebensstil wider. So endet die Endzeitrede des Markus mit dem Ruf zu einem wachsamen Leben: Jede Stunde, jeder Tag ist einzigartig, wir sollen ihn nicht gleichgültig „verschlafen“, sondern gut nützen!
Statt Angst, Drohung, Überforderung und apokalyptischer Hysterie also Ent-Spannung, Ent-Krampfung, nüchterne Wachsamkeit und Ermutigung zum sinnvollen Nützen der Zeit, zum sinnvollen Nützen der Gegenwart. Könnten das nicht auch für uns Christen heute Perspektiven sein?