18.04.2000 - Kirchenzeitung der Diözese Linz, Mona Müry-Leitner
Knapp drei Stunden Musik haben uns in fortschreitender dramatischer Zuspitzung bis zum Sterben Jesu geführt. Bach setzte nicht nur Himmel und Erde in Bewegung, er erwies sich auch als Kenner der Naturgewalten der menschlichen Seele. Nun ist Ruhe da. Der öffentliche Aufruhr der vergangenen Szenen ist bis auf eine Ausnahme, „Herr, wir haben gedacht“, abgelöst von einer ernsten Innerlichkeit – der Innerlichkeit des Abschiednehmens am Grab. Mit lyrischer Anmut meditiert der Bass-Solist in Bachs Lieblingstonart die Abnahme des Leichnams vom Kreuz: „Geh, lasse dir den toten Jesum schenken, o heilsames, o köstlichs Angedenken.“ Sein Innerstes bietet er eilfertig als Grab für Jesus dar: „Mache dich mein Herze rein.“ Hier finden kindliche Gefühlswärme und überzeugende Männlichkeit zur Harmonie. Die dunkle Farbe der Alt-Oboen, ab der Pilatusszene immer häufiger eingesetzt, ist eine klangliche Entsprechung zum Dunkelviolett, der liturgischen Farbe der Passionszeit. Auch dieser letzte Abschnitt der Passion konfrontiert uns mit einer Fülle scheinbarer Paradoxien. Das Thema der Auferstehung ist ausgespart, wenn man es nicht in diesen Paradoxien angedeutet sehen will. So rasch ist die Wendung von der Verzweiflung zur Hoffnung nicht zu nehmen. Die vier Solisten, Repräsentanten der vier unterschiedlichen Charaktere, werfen einen letzten Blick auf das Unveränderliche und ersingen im Duett mit dem Chor in innigster Zuneigung den seligen Schlaf der langen Nacht: „Nun ist der Herr zur Ruh gebracht, mein Jesus, gute Nacht.“Klagend hat der Chor das Werk eröffnet, in tieftrauriger Stimmung bringt er es auch zu Ende. In unendlich vielen Wellen kehrt der Schmerz der Traurigkeit wieder und wieder: „Wir setzen uns mit Tränen nieder.“ Durch den Wiegerhythmus der Musik „Ruhe sanft, sanfte Ruh’“ wird dem Toten zugleich eine himmlische Zärtlichkeit entgegengebracht. Die Tonart ist c-Moll, die Tonart des Schlafs. Kurz leuchten überraschende Tröstlichkeiten auf, die bald wieder von Tränen überflutet werden. So schließt das Werk in einer eindringlichen Dissonanz. Bach überläßt uns der stillen Trauer des Karsamstags.