Christa Peikert-Flaspöhler: Meine Vision des neuen Jahrtausends
Ausgabe: 2001/07, Vision des neuen Jahrtausends
13.02.2001
Wenn die göttliche Weisheit die Herzen bewegt, dann können Frauen und Männer gemeinsam ihre Fantasie zum Wohle aller einbringen.
Ich habe einen Traum, so begann die Schau des charismatischen Martin Luther King in die erhoffte menschenwürdige Zukunft für die farbigen Bürger in den USA. Er hat den jahrelangen gewaltlosen Kampf nach ständigen Drohungen mit dem Leben bezahlt.
Sein Traum wurzelte in der Überzeugung, dass Gott jeden Menschen auf dieser Erde beim Namen gerufen hat. Daraus schöpfte der baptistische Geistliche Kraft für sein Tun. Er folgte, so wie Dom Hélder Câmara, Jesus aus Nazaret nach, vor allem den Armen und Unterdrückten die Frohe Botschaft zu bringen: Ihr seid wertvoll, jede Frau, jeder Mann. Im Alltag haben es die Menschen erfahren. Das tägliche Brot, das Dach, die liebevolle Nähe, die Achtung der Person bezeugen göttliche Liebe, ermöglichen Glauben und Vertrauen, dass Gottes Güte und Gerechtigkeit wirklich sind. Überall, wo Frauen und Männer die jesuanische Botschaft im Alltag mit Leben erfüllen, sehe ich Kirche auf dem Weg. Sehe ich ihre Zukunft.
Gott in neuen Bildern
Das dritte Jahrtausend erscheint in Ausblicken unterschiedlichster Herkunft als eine Art Zauberformel: Nun wird oder muss sich, wenn nicht alles, so doch vieles ändern. Seltsam. Eine Zahl vermag Hoffnung, Träume, Vorsätze zu erwecken. Meine Träume begannen eher. Der freudig vollzogene Aufbruch des II. Vatikanischen Konzils wurde ausgehungert. In den Vordergrund traten mehr und mehr die Verbote, der Dogmatismus innerhalb der römisch-katholischen Kirche. Ja, Kirche, ist sie die Weisung gebende und auch in der Neuzeit theatergleich auftretende Hierarchie, und sind es die automatisch gehorsamen fundamentalistischen Männer und Frauen aller kirchlichen Stände?Vor etwa 20 Jahren begann ich, meinem Hunger, meiner wachsenden Heimatlosigkeit in meiner Kirche Namen zu geben. Ich vermisste dort Jesus, der Männer und Frauen um sich versammelte und ihnen seine gute Nachricht anvertraute. Der sagte: Wer unter euch der Größte sein will, sei der Diener aller. Der Ämter und Ehren nicht anstrebte.
Ich suchte und fand, unterstützt durch die Feministische Theologie, Gott als Fülle, als Weile, als Schöpferin Liebe, nicht eingezwängt in männliche Herrschaftsbilder, männliche Daseinsformen. Aus dem Ersten Testament kamen und kommen mir die heilige Ruach, weibliche Lebensspenderin vor aller Schöpfung, die göttliche Weisheit entgegen – Gotteskräfte, Freundinnen, die mich ermutigen und leiten. Sie ermöglichen mir zu hoffen, zu glauben, zu handeln. Durch sie und mit ihnen träume ich, dass Liebe und Gerechtigkeit, Friede und Freiheit wachsen unter uns Menschen. Dom Hélder Câmara sagte: „Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum; wenn viele gemeinsam träumen, so ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit. Träumt unseren Traum!“
Wo die Freude lebt
Ich hoffe, dass immer mehr Frauen und Männer es wünschen und daran arbeiten, dass unsere Kirche eine Kirche mit den Menschen und für die Menschen wird, mit gleichberechtigten Frauen und Männern und für sie, in der die Freude lebt; dass die göttliche Ruach, die heilige Weisheit Herzen, Verstand und Tatkraft bewegen, dass ihre Stimmen gehört werden. Nur so haben Menschen weltweit Zukunft. Nur so werden wir uns als Mitmenschen, als Mitgeschöpfe, als Beschenkte begreifen und danach leben. Nur so werden Frauen und Männer gemeinsam ihre Fantasie, Begabungen und Gestaltungskräfte zum Wohle aller einbringen können. Nur so werden unselige Trennungen überwunden.
Lesen Sie nächste Woche: Die Linzer Ordensfrau Margret Scheurecker über ihre Vision des neuen Jahrtausends.