Ausgabe: 2001/32, Kirche, Dialog, REinhold Stecher,
13.08.2001
Dialog ist Mode. Für die Kirche ist er schwierig, mituntersogar gefährlich. Dennoch hält Bischof Reinhold Stecherdaran fest: „Ich glaube an eine Kirche des Dialogs.“ Und er nennt Gründe dafür.
Vor wenigen Wochen erreichte mich ein Brief, in dem Folgendes stand: „Dialog ist in der Heiligen Schrift ein Fremdwort. Die Heilswahrheit ist nicht das Ergebnis von Diskussionen, sondern eine Botschaft, die aus der Ewigkeit kommt. Was daher der Kirche angemessen ist, ist die Verkündigung, nicht der Dialog. Und was den Dialog zwischen Kirche und Welt betrifft, so ist die gottentfremdete Welt kein Aufgabengebiet der Kirche, so diese an jener Welt sozusagen moralisch-kosmetische Pflege zu betreiben hätte. Die Kirche hat in dieser Welt nur ihr Heil zu verkünden; und wo es nicht angenommen wird, den Staub von den Füßen zu schütteln.“
Diese Geisteshaltung verrät eine fundamentale, man ist wohl geneigt zu sagen, fundamentalis-tische Ablehnung des Dialogs. Darauf muss ich eingehen.[Der Dialog] ist eine Urform der Erkenntnis- und Bewusst-seinserweiterung. Das weiß doch schon jede Mutter, die der Wa-rum-Fragewelle eines Dreijährigen ausgesetzt ist.
Dialog wahrt die Menschenwürde
Der Dialog ist heute eine Sprechweise, die die Menschenwürde wahrt. In unserer Zeit fühlt sich der Mensch nämlich in tausend Dingen schlicht und einfach überfahren. Er ist ja den Kaskaden nicht überprüfbarer Informationen ausgesetzt.Wenn es um die wesentlichen Fragen des Lebens geht, will er als Mensch angesprochen werden, der dazu etwas sagen kann. Darum braucht er einen persönlichen Raum des Sich-Auseinandersetzen-Könnens. Das ist der Dialog.
Dialog respektiert densuchenden Gläubigen
Der Dialog respektiert den Suchenden. Und Suchende sind viele Gläubige. Die Zeit der undiskutierten Selbstverständlichkeiten, wie sie einmal war, ist weitgehend geschwunden. Der Verunsicherte und Suchende will indi-viduell angesprochen werden, nicht mit rhetorisch-wasserfallartiger Überredungskunst, die dem Anderen kaum Zeit zum Atmen lässt.Im echten Dialog ist immer für den Dialogpartner ein Raum der Freiheit gewahrt. Und gerade diese Freiheit braucht der Mensch heute, der auf dem Weg zu echten Überzeugungen ist.
Dialog war die Sprache des Konzils
Was nun die Kirche betrifft, so steht eines fest: Der Dialog war die Sprache des Konzils. Ersparen Sie mir Dutzende von Belegstellen und entsprechenden Äußerungen der Konzilspäpste. Wer wie Johannes XXIII. die Fenster aufmachen wollte, war für den Dialog.Das Konzil selbst war intensivs-ter und sehr offener Dialog. Und nichts von dem, was herausgekommen ist, war sozusagen im Voraus gemanagt. Für mich sind die auch heute noch faszinierenden Auseinandersetzungen des Konzils ein Beweis dafür, dass der Dialog eine bevorzugte Sprachform einer Kirche ist, in der man mit jener Lehre Ernst macht, dass der Geist weht, wo er will, und sich nicht auf Einbahnen festlegt. Und gleichzeitig ist mir das so dialogreiche Konzil der Beweis dafür, dass Dialog und Lehramt keine Gegensätze sind.
Dialog ist eine Sprechweise der Offenbarung
Und damit kommen wir zur tiefsten Begründung des Dialogs und gleichzeitig zur Korrektur des Briefes, den ich eingangs zitiert habe: Dialog ist als Wort in der Heiligen Schrift nicht genannt, aber sehr wohl der Sache nach. Dialog ist eine Sprechweise der Offenbarung.Das ewige Wort, das sich zur Menschheit neigt, kennt von Anfang an den Dialog. Gott redet mit Abraham und Abrahams Bitte um Sodom und Gomorrha ist ein einziger Dialog. Gott redet mit Moses und Moses redet mit ihm wie mit einem Freund, der mit seinem Freunde spricht. Jede Berufungsszene eines Propheten ist ein Dialog. Damit sagt schon die Heilige Schrift des Alten Testaments jedem Weg ins Getto ab. Christus beginnt seinen Auftritt in der Arena des Geistes als Zwölfjähriger im Tempel mit den Fragen der Rabbinen. Er kennt und beherrscht die Dialogformen dieser hochgebildeten Klasse. Und sogar der Auferstandene, der sozusagen voll im Licht endgültiger Vollendung steht, wählt auf dem Weg von Jerusalem den Dialog als Weise der Verkündigung.Die Liebe Gottes, die Natur des Menschen, die Situation der Kirche und die Situation des Menschen in dieser modernen Welt erfordern den Dialog.Auszug eines Vortrags, den Bischof Stecher im Mai 1995 im Theater am Kornmarkt in Bregenz gehalten hat.