Mit dieser Bitte nimmt uns Jesus hinein in die Mitte seiner Sendung und Existenz. Der Anbruch der Gottesherrschaft steht im Zentrum seiner Predigt und wird erfahrbar in Heilungswundern und Dämonenaustreibungen. Bei Markus beginnt die Predigt Jesu mit dem Satz: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (1, 15). Und wenige Zeilen später wird von der Heilung eines Besessenen in der Synagoge von Kapharnaum (1, 21–28) und von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus berichtet (1, 29–34). Als er einmal gefragt wird, wann und wo dieses Reich Gottes anbreche, gibt er zur Antwort: „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte. Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es! Denn: Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch“ (Lk 17, 20–21). Mit diesen Worten grenzt Jesus das Kommen des Reiches Gottes ganz klar von gängigen politischen Vorstellungen eines Gottesstaates auf Erden ab. Das Reich Gottes ist schon da, aber es ist auch noch am Kommen.
Zwischen Hektik und erfüllter Zeit
Während die Zeitgenossen Jesu von dieser Botschaft geradezu elektrisiert waren und alle möglichen Hoffnungen von einer politischen Wende bis zur Ablöse dieser Weltzeit von der endgültigen Gottesherrschaft an das Auftreten Jesu knüpften, lässt diese Botschaft heute kaum noch jemanden aufhorchen. Daher ist die Frage angebracht: Wovon hat Jesus wirklich gesprochen und – der Versuch sei gewagt – mit welchen Worten würde er heute vom Anbruch des Reiches Gottes reden?Schon das erste Wort seiner Predigt in Galiläa enthält einen wichtigen Hinweis. Wenn er davon spricht, dass das Reich Gottes nahe sei, weil die Zeit erfüllt ist, dann ist damit in erster Linie gesagt, dass die bisherige Geschichte Gottes mit den Menschen in Jesus ihr Ziel erreicht hat. In diesem Satz klingt aber auch mit, dass überall dort, wo wir „erfüllte Zeit“ erleben, das Reich Gottes nahe ist. Wie ist das zu verstehen? Wir alle kennen nur allzu gut die Erfahrung, wie uns Tage, Wochen und Jahre davonlaufen. Die Hektik unserer Epoche tut noch das ihrige dazu, dass wir manchmal betroffen feststellen: Wohin ist meine Lebenszeit eigentlich entschwunden. Es gibt aber auch Stunden, in denen unsere Lebenszeit stillzustehen scheint. Wir leben einfach im Jetzt, fast wie spielende Kinder, die jedes Zeitgefühl verloren haben. Wir sprechen dann von Sternstunden oder auch vom erfüllten Augenblick und wissen: solche Stunden kann man nicht machen; sie sind Geschenk. Diese beglückende Erfahrung von erfüllter Zeit lässt ahnen, wie es ist, wenn das Reich Gottes anbricht.
Anstelle von „Reich Gottes“ dürfen wir auch von den „Reichtümern Gottes“ sprechen. Eine Spitzenaussage über diese Reichtümer Gottes steht am Beginn der Bergpredigt: „Selig, die arm sind vor Gott“ (Mt 5, 3). Das ist keine Vertröstung für jene, die auf die Schattenseite des Lebens gefallen sind, sondern eine Zusage an alle, die ihre Armseligkeit und ihre Schwächen Gott hinhalten und mit seiner Zuwendung rechnen dürfen.
Mit Gottes Reichtümern beschenkt werden
Gott hat eine Schwäche für unsere Schwachheit. Wie könnte unsere Alltagswelt geradezu mit Himmel angereichert werden, wenn wir dieser Bitte um das Anbrechen des Reiches Gottes in unserem Leben einen zentralen Stellenwert einräumen würden! Zu den „Reichtümern Gottes“ gehört auch das unscheinbare Wort „aufrichten“. Immer wieder geht es Jesus darum, dem so vielfach niedergehaltenen Leben aufzuhelfen. Wenn er Hungernden Brot gibt und Kranke heilt, wenn er Aussätzigen die Rückkehr ins gesellschaftliche Leben ermöglicht und Menschen, die ihr Leben so oder so verpatzt haben, die Chance eines Neubeginns schenkt, dann wird erfahrbar, worum es geht, wenn vom Reich Gottes die Rede ist. Jesus lädt uns ein, um das Kommen des Reiches Gottes zu bitten. Erfülltes Leben ist nicht machbar, wir können es uns nur von Gott schenken lassen.
Impuls für die Woche
Wie könnte ich mein Wissen über die „Reichtümer Gottes“ ausweiten und dann in meinem Leben fruchtbar machen?– Ich mache mir bewusst, dass die Teilhabe an den Reichtümern Gottes ein reines Geschenk ist, das ich mir nicht verdienen kann. Deshalb will ich mit Jesus um das Kommen des Reiches wirklich bitten und beten. – Ich will in dieser Woche die Vaterunserbitte „Dein Reich komme“ täglich für einige Minuten mit meinem Atem verbinden und so aus meiner Mitte heraus beten.
Ich lese im Markusevangelium die Gleichnisse vom Reich Gottes: Mk 4, 1–34.