Wer hatte am letzten Sonntag Dienst als Lektor? Eine Frau meldet sich. Und welche Stelle haben Sie vorgelesen? „Ich weiß es nicht mehr“, gesteht sie nach längerem Überlegen.
Was Hans Sperandio als Leiter einer Fortbildung für Lektoren in Ludesch passiert ist, sollte eigentlich nicht vorkommen. Und doch dürfte es eher die Regel als die Ausnahme sein. „Lektoren verkünden der Gemeinde die Gute Nachricht. Sie geben ihnen ein gutes Wort mit, mit dem sie in die Woche gehen können.“ „Das ist eine ganz wichtige Sache“, macht Sperandio bewusst. Dieser Dienst ist in der erneuerten Liturgie gewaltig aufgewertet neben dem priesterlichen Dienst am Altar. Er ist weit mehr als nur eine Leseübung. Für eine Lektorin, einen Lektor heißt das dann: Ich kann nicht nur zum Ambo gehen und draufloslesen. Ich sollte so lesen, dass es alle hören; ich sollte so deutlich lesen, dass es alle verstehen; ich sollte den Text vorher durchlesen – womöglich auch die Einleitung – damit ich weiß, wovon hier die Rede ist. Bei Klausuren von Pfarrgemeinderäten, Schulungen für Kommunionhelfer und Lektoren oder als Leiter von Fahrten nach Assisi und Israel ist Sperandio als Experte für Bibelthemen gefragt. Als die Referentin der Bibelnachmittage im Bildungshaus Batschuns kurzfristig ausfiel, sprang er ein. Aus dem Provisorium wurden mittlerweile sieben Jahre. Oder angefragt um einen Beitrag für die österreichischen Mesnerzeitung hat er Bibelstellen gesucht, die von Diensten im Tempel oder in der Synagoge handeln. Etwa dem jungen Eli, der von Gott gerufen wird. Hier können Mesner nachschauen, wie ihre Kollegen ihren Dienst getan haben. An diesen „Job“ ist der pensionierte Professor für Didaktik, Geschichte, Deutsch, Politische Bildung an der Pädagogischen Akademie in Feldkirch „zufällig“ geraten. „Unser Pfarrer ist seit 40 Jahren mein Religionslehrer“, antwortet er schlicht, wie er auf die Arbeit mit der Bibel gekommen ist. „Ich habe davor 40 Jahre Kirchenmusik gemacht, davon 20 Jahre als Organist. Aber was die Schrift für das Leben bedeutet, das habe ich von Pfarrer Klaus Bissinger gelernt“, gesteht er. Aber auch die Bibelrunde mit drei Ehepaaren hat dazu beigetragen, immer wieder Überraschungen in der Bibel zu entdecken.
Der Revolutionär Jesus
Etwa die Lieblingsstelle aus der Abschiedsrede Jesu nach der Fußwaschung: Sie fasst sehr dicht zusammen, was man sich 70 Jahre nach Jesu Tod, nach zwei Generationen, als den Kern seines Lebens weiter erzählt. „Es ist das Leben füreinander, die Botschaft der Liebe. Oder beim Gleichnis vom Weizenkorn: Es geht nicht darum, eine Geschichte zu erzählen, sondern darum, Weizenkorn zu sein“, so Sperandio. „Jesus beeindruckt mich einfach als historische Figur, als Jude und als einer, der eine völlige neue Dimension von Leben und Lebensqualität auftut. Im Grunde genommen ist er genau einer jener Revolutionäre, die wir immer wieder brauchen würden“, so Sperandio. „Unser Wort Revolutionär ist ja negativ besetzt. Es hat mit Blut und Schwert zu tun. Das ist völlig falsch. Revolte heißt nichts anderes als zurück wälzen, zurück gehen auf den Ursprung. Nichts anderes hat Jesus getan, als die Botschaft von Gott unter dem Schutt jahrtausende langer menschlicher Kultivierung frei zu legen. Das ist faszinierend“, gerät er ins Schwärmen.