Sr. Emilie Pölzleitner lebt seit ihrem Ordenseintritt vor fünfzig Jahren im „Mutterhaus“. Als Generalverwalterin ist sie für die Finanzen der Gemeinschaft zuständig. Ihr Büro teilt sie mit zwei Kanarienvögeln.
Die Ordenszentrale der Franziskanerinnen von Vöcklabruck wurde am 5. Juni 1905 eingeweiht. Im „Mutterhaus“ werden die Weichenstellungen für die gesamte Gemeinschaft getroffen – bis heute.
„Ein Ort des Lebens, ein Ort der Stille und ein Ort, von dem Kraft ausgeht.“ So beschreibt Sr. Kunigunde Fürst die Bedeutung des Mutterhauses. Die Generaloberin leitet die 1850 von dem Diözesanpriester Sebastian Schwarz gegründete Schwesterngemeinschaft. Aus einer Handvoll junger Frauen, die für die Kinder aus Arbeiterfamilien sorgten, ist in kürzester Zeit eine große Ordensgemeinschaft gewachsen mit je einer Provinz in den USA und Deutschland.
Geplant im Superlativ
Anfang der 1970er Jahre zählteder Orden mehr als 800 Schwestern. Auch wenn die Zahl in der Zwischenzeit auf 303 gesunken ist, prägen die Vöcklabrucker Schwestern doch das Land Oberösterreich mit: durch ihre Krankenhäuser (Grieskirchen, Braunau), Altenheime, Schulen und Kindergärten. In Oberösterreich beschäftigt der Orden rund 2.100 Mitarbeiter/innen, die Fäden der vielfältigen Aufgaben laufen im Vöcklabrucker Mutterhaus zusammen.
Innerhalb von nur zwei Jahren – von 1903 bis 1905 – stampften die Schwestern das 100 Meter lange und vier Stockwerke hohe Gebäude an der Salzburger Straße aus dem Boden. Das Haus sollte viermal so groß werden wie das bestehende – sogar mit eigenem Schwimmbad. Aber der damalige Bischof stellte sich gegen einen solchen Gebäudekomplex quer – wofür die Schwestern heute mehr als dankbar sind.
Das „Mutterhaus“ steht für die Schwestern als Ausbildungsstätte am Beginn und als „Alten- und Pflegeheim“ am Ende ihres Ordenslebens. Weiters sind darin ein geistliches Zentrum untergebracht, Nähereien, eine Wäscherei, Hostienbäckerei und die Verwaltung für die Werke des Ordens.
In die Zukunft blicken
Für die Generaloberin Sr. Kunigunde ist das Jubiläum nicht Anlass, in der Vergangenheit zu schwelgen, sondern in die Zukunft zu blicken. Die stets kleiner werdende Gemeinschaft verändert den Orden grundlegend. Häuser werden geschlossen und neue Trägerschaften für Einrichtungen geschaffen, Aufgaben werden konzentriert. Wenn die Schwestern auch selbst nicht mehr ihre Werke führen können, so soll der franziskanische Geist in ihnen erhalten bleiben. Die Generaloberin hofft, dass das gelingt und setzt großes Vertrauen in den „Ordensvater“: „Mit dem heiligen Franziskus haben wir ein enormes Kapital. Er spricht Menschen an unabhängig davon, ob sie religiös sind oder nicht“.
IM GESPRÄCH
Die Hände frei haben für Neues
Die Generaloberin der Vöcklabrucker Franziskanerinnen, Sr. Dr. Kunigunde Fürst spricht über die Zukunft des Ordens.
Wir Schwestern nehmen ab an Zahl, Kraft und Flexibilität. Da ist die Ausgliederung der Einrichtungen und Überführung in eigene Rechtsformen gut. Denn das hält uns den Blick frei für Neues: für neue soziale Aufgaben und Solidarität mit den Menschen.
In den letzten Jahren wurde viel Neues entdeckt und auch angefangen: Dazu gehören das Haus Lea, der Einsatz in Kasachstan, die Gebetszelle im Mutterhaus, die Freunde der Franziskanerinnen und vieles mehr ... So wie die Zeichen jetzt stehen, habe ich nicht das Gefühl, dass wir „aussterben“. Diese neuen Versuche könnten durchaus ein neues Interesse für den Orden bringen. Wir dürfen aber den langen Atem nicht verlieren und müssen der Jugend Raum geben.
Im kommenden Jahr haben wir wieder Generalkapitel. Wir werden dabei versuchen, ein Leitwort für die Arbeit unseres Ordens zu formulieren. Das Leitwort soll uns neue Kraft geben und Anstoß für unsere Sendung sein. Bei dem Prozess geht es um das neue Finden des Grundwassers für unsere Berufung.