Von der Spurensuche nach einer namenlosen Prophetin im Jesajabuch zu Debora, der großen Richterin und Prophetin Israels.
Wenn herkömmlicher Weise von Propheten gesprochen wird, so versteht man darunter die sog. Schriftpropheten und meist auch wieder nur jene, die als „freie“ Propheten unabhängig von Tempel und Staat und häufig ganz gegen den Willen der Herrschenden das Wort Gottes verkündet haben. Diese einzigartigen Gestalten haben Nachfolger und Bearbeiter gefunden, sodass wir heute kein großes Buch mehr vor uns haben, das von einer einzigen Prophetengestalt stammt. Die Prophetenbücher haben in der redaktionellen Fassung eine Abfolge, die vom Unheil ins Heil mündet, also Trost und Hoffnung stiften will. Frauen als Prophetinnen findet man in diesen Büchern praktisch nicht.
Die Frau des Jesaja. Eine winzige Ausnahme ist die Frau des Jesaja, die allerdings nur einen kleinen Auftritt hat, nämlich im 8. Kap.: „Der Herr sagte zu mir: Nimm eine große Tafel, und schreib darauf mit einem gewöhnlichen Griffel: Maher-Schalal-Hasch-Bas (Schnelle Beute – Rascher Raub). Und ich nahm mir zuverlässige Zeugen, den Priester Urija und Secharja, den Sohn Jeberechjas. Dann ging ich zu der Prophetin, und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn. Da sagte der Herr zu mir: Gib ihm den Namen Maher-Schalal-Hasch-Bas! Denn noch bevor der Knabe «Vater» und «Mutter» sagen lernt, wird man den Reichtum von Damaskus und die Beute von Samaria dem König von Assur vorantragen.“Welche Bedeutung diese Frau hatte, außer die Gebärerin eines Sohnes für Jesaja zu sein, bleibt unklar. Manche vermuten, das Prophetenwort in V. 3f. sei ursprünglich von einer Frau gekommen, die auf die Assyrerbedrohung von 734 v. reagiert habe. Erst sekundär wäre diese selbständige Prophetin zu einer Ehefrau des Jesaja „herabgemindert“ worden. Aufgrund von Thematik und Bildhaftigkeit nimmt Ernst A. Knauf auch für den bekannten Spruch Jes 7, 14–16 dieselbe Prophetin als Verfasserin an: „Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben. Er wird Butter und Honig essen bis zu der Zeit, in der er versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen. Denn noch bevor das Kind versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen, wird das Land verödet sein, vor dessen beiden Königen dich das Grauen packt.“ Ob dies beweisbar ist, bleibt dahingestellt, reizvoll ist der Gedanke allemal, dass eine der wirkmächtigsten Verheißungen von einer Frau stammen soll.
Deborah, Prophetin und Richterin. Bleibt man vorerst im Alten Testament, so wird neben Hulda und Mirjam, der Frau in Jesaja und Noadja (Neh 6, 14) nur eine Person genannt, die als Prophetin gilt, nämlich Debora. Sie ist gleichzeitig Prophetin und Richterin. Damit besitzt sie das zur damaligen Zeit wichtigste Staatsamt und ist gleichzeitig entscheidende Mittlerin zu Gott. Aufgabe von Richtern und Richterinnen war es in erster Linie, Recht zu sprechen, und dies in einer absolut von Männern dominierten vorstaatlichen Stammesgesellschaft. Debora sitzt unter einer Palme irgendwo im Gebirge Ephraim und entscheidet strittige Rechtsfälle. Debora als Kriegsheldin erfüllt den wichtigen Part der Stammesführerin, der sich mit der Richterin vereint. Natürlich wird die Deboraerzählung zum Vorbild der späteren „Jüdin“ schlechthin, Judit, die gegenüber Holofernes das alte Rezept wiederholt. Debora muckt gegenüber 20jähriger Unterdrückung durch den Kanaanäer Jabin mit seinen Streitwagen auf und organisiert den Widerstand. Ihr prophetisches Amt besteht in einer authentischen Vermittlung des Gotteswillens im Angesicht einer politischen Bedrohung. Es beinhaltet aber auch eine Voraussicht des Kommenden, was schließlich besonders das Bild der Prophetie auch in unserer Zeit prägen wird. Es ist eben eine Mischung aus scharfer Gegenwartsanalyse, Auslegung des Gottesworts und daraus resultierender Voraussicht der Zukunft. So organisiert sie das Heer, gibt dem Heerführer Befehl, sagt ihm auch, dass er den Ruhm nicht einheimsen wird, weil er einer Frau zufällt. Aber der kluge Mann, Barak, lässt sich davon nicht abhalten, sondern führt seine Streitwagen in eine siegreiche Schlacht. Wie immer kann Israel nur gewinnen, weil es auf Gottes Stimme, hier vermittelt durch die Prophetin Debora, hört. Die Schlacht liefert den Stoff für das Debora-Lied, das zu den ältesten Stücken der Bibel gehört. Alle sollen in den Siegesjubel einstimmen: Hohe und Einfache, alle preisen die Gerechtigkeit Gottes, der sich mit seinem Volk verbündet. In gewisser Weise ist Debora zum Vorbild aller prophetischen Menschen geworden, klar und kompromisslos auf das Wort des Herrn bedacht, immer im Blick die Zukunft der Gemeinschaft.