Aus einer Liebesbeziehung wird eine Lebensentscheidung
Zu den Jubiläen der ersten Jesuiten: 450. Todestag von Ignatius von Loyola
Ausgabe: 2006/25, Jesuiten, Ignatius von Loyola, Leitner, Exerzitien, Exerzitienbuch, Manresa, Gesellschaft Jesu, Severin Leitner,
22.06.2006
Die Jesuiten feiern heuer den 450. Todestag ihres Gründers Ignatius von Loyola. Pater Provinzial Severin Leitner nimmt das zum Anlass, über das spirituelle Vermächtnis des Heiligen, seine „geistlichen Übungen“ (Exerzitien), zu schreiben.
P. SEVERIN LEITNER SJ
Ignatius von Loyola hat neben zahllosen Briefen drei Schriften hinterlassen: die Exerzitien, die Satzungen der Gesellschaft Jesu und den Bericht des Pilgers, eine von ihm diktierte Lebensbeschreibung. Die Satzungen sind das Gesetzbuch des Jesuitenordens. Die Exerzitien sind aber als Buch für die religiöse Erneuerung der Neuzeit zum wichtigsten Vermächtnis des hl. Ignatius an die Kirche geworden.
Persönliches Bekenntnis. Ich hatte oft in meinem Leben die Gelegenheit, die großen, dreißig Tage dauernden, aber auch kürzere (etwa achttägige) Exerzitien zu begleiten. Dabei machte ich die Erfahrung, dass es die erste Aufgabe des Begleiters ist, nicht mit den Betenden für ihr Leben etwas zu wollen (Besserung, Entscheidungen, Andacht etc.), sondern sie in ihrem Gebet zu begleiten und zuzuschauen, wie Gott in ihnen wirkt, sie verändert, befreit, für ihr Leben stärkt und sie tröstet. Das Zeichen wirklich gelungener ignatianischer Exerzitien ist eine tiefe, anhaltende Freude.
Beziehung zu Christus. Die Exerzitien haben einen klaren inneren Aufbau. Sie beginnen mit einem Blick auf das eigene Leben und lehren, es in seiner Bruchstückhaftigkeit anzunehmen und es von Gott heilen und fruchtbar machen zu lassen. Die nächste Phase besteht in einer tiefen Begegnung mit dem konkret menschgewordenen Christus. In vielen Betrachtungen blickt der/die Betende auf Jesus, um bei ihm für das eigene Leben zu lernen. So formt sich, indem er/sie Jesus immer besser kennen lernt, eine liebende Beziehung, die zur Grundlage (Fundament) für eine Lebensentscheidung wird. Das Leben Christi wird in seiner Gesamtheit in den Blick genommen: die lebens- und hoffnungsträchtigen Begegnungen des Herrn mit den Menschen, ebenso wie seine Passion, seine Auferstehung und die Sendung des Menschen in die Welt. So münden die Übungen in eine tiefe und freudige Erfahrung des Gesandt-Seins vom Herrn und des „Gott-Findens in allen Dingen“.
Große Linien und kleine Schritte. Der Exerzitienweg ermöglicht einen realistischen und heilenden Blick auf das eigene Leben und ist ein Weg der Begegnung mit Christus und einer wachsenden und ermutigenden Freundschaft mit ihm. Das Ende von Exerzitien (auch von kürzeren, etwa achttägigen) ist immer der Beginn eines neuen und lebenslangen Weges mit Jesus, ein Weg des Dienstes und der Hingabe an den neu erfahrenen Willen Gottes und an die Menschen der konkreten Umgebung, wohin ja der Weg des Herrn immer führt (Nächsten- nicht Fernstenliebe!). Der hl. Ignatius lehrt in den Exerzitien, auf die große Linie des eigenen Lebens zu achten und diese in die kleinen Schritte des Alltags umzusetzen.
Ignatius von Loyola (1491–1556) legte 1534 in Paris mit sechs Studienkollegen die Gelübde ab. 1540 wurde die „Gesellschaft Jesu“ von Papst Paul III. als Orden bestätigt. Heute gibt es weltweit 19.000 Jesuiten, in Österreich wirken 110.
Stichwort
Die Schule Gottes
Die Lebens- und Glaubensgeschichte des 1491 auf Schloss Loyola geborenen Iñigo López ist voller Dramatik und überraschender Wendungen. Nach seiner Verwundung bei der Verteidigung Pamplonas (1521) beginnt für den Lebemann ein neuer Weg mit neuen Zielen – ein Leben zur „größeren Ehre Gottes“ und zum „Wohle der Menschen“. Das kleine Städtchen Manresa wird zum Ort der tiefen Begegnung mit Gott und seiner befreienden Liebe, die er in seinem Exerzitienbuch festhält.
Das Exerzitienbuch des hl. Ignatius hat mehrere Ebenen. Zuerst ist es eine systematische Reflexion von religiös-mystischen Erfahrungen, die Ignatius besonders in der Zeit nach seiner Bekehrung in Loyola und Manresa gemacht hat. Als solche aber sind sie (zweitens) die Beschreibung seines eigenen Weges, den ihn Gott „wie einen Schüler“ (Bericht des Pilgers Nr. 27) geführt hat. Am Beginn und über den Text verstreut gibt es viele Hinweise für den Exerzitienbegleiter. So sind diese Texte (drittens) ein Buch für den Begleiter. Sie sind (viertens) zuletzt ein Anweisungsbuch für Betende. Insgesamt sind sie ein „Übungsbuch“ und kein „Lesebuch“. So führen die Exerzitien einen suchenden Menschen einen Weg zu Gott, mitten im eigenen Leben. Daher steht als Überschrift über dem Exerzitientext: „Geistliche Übungen, um über sich selbst zu siegen und sein Leben zu ordnen“. Beide Zielrichtungen sind wichtig: „über sich selbst siegen“ heißt in heutiger Sprache, in innerer Freiheit wachsen und weniger fixiert und abhängig sein; „sein Leben ordnen“ bedeutet, eine Wertordnung und Perspektive in sein Leben bringen, die sich an der Person Jesu orientiert.
P. Dr. Severin Leitner ist seit 40 Jahren Jesuit und derzeit Provinzial.