Ein Garten, gehütet und bebaut von den Menschen, gibt Nahrung. Tiere bereichern die menschliche Lebenswelt. Menschen, die einander ergänzen. Fülle und Ausgewogenheit bestimmen die Schöpfung Gottes.
Christina Spaller
Noch einmal wird die Entstehungsgeschichte von Himmel und Erde berichtet. Der gesamte Kosmos war in sieben Tagen geschaffen worden, so Genesis 1. Dieser zweite Schöpfungsbericht ab Genesis 2, 4 ist der ältere und bildet bis Genesis 4 eine erzählerische Einheit. Zu Beginn wird gesagt, was alles noch nicht ist: keine Feldsträucher und Feldpflanzen, weil es noch nicht geregnet hat, und keine Menschen, um den Ackerboden zu bestellen. Doch Feuchtigkeit steigt aus der Erde auf und tränkt den Ackerboden. Ein verheißungsvolles dunstiges Bild. Im Hebräischen heißt der Ackerboden „adamah“. Wenn GOTT von der „adamah“ nimmt und einen „adam“ formt, so verweist das auf die Erdverbundenheit des Menschen (= Erdling), sein Hingeordnetsein auf den Ackerboden. Um ein lebendiges Wesen zu werden braucht der Mensch ein lebendig machendes Prinzip. GOTT bläst dem Menschen Lebensatem ein und macht ihn so zu einem lebendigen Wesen. So besteht der Mensch aus zwei Teilen – er ist vom Ackerboden genommen und an diesen gebunden, und er ist belebt durch den göttlichen Lebensatem.Im Anschluss errichtet GOTT im Osten eine Garten namens Eden. Aus der „adamah“ lässt er allerlei verlockende Bäume mit köstlichen Früchten wachsen. In der Mitte des Gartens wachsen zwei besondere Bäume, der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Auch für Wasser ist gesorgt. Zwei der genannten vier Flüsse im Garten verweisen auf das Zweistromland, den heutigen Irak. Bodenschätze gibt es ebenso.Nachdem GOTT einen satten Garten angelegt hat, setzt er den Menschen hinein und beauftragt ihn, den Garten zu bebauen und zu hüten. Zur Nahrung dienen ihm die Früchte der Bäume, mit Ausnahme des Baumes der Erkenntnis.
Zusammengehörig und gleichwertig. In einem nächsten Schritt erkennt GOTT, dass es nicht gut ist, wenn der „adam“ alleine ist. Er schickt sich an, dem Einsamen eine Hilfe zukommen zu lassen. Das hebräische Wort für Hilfe wird auch für GOTT verwendet, z. B. im Psalm 70, 8 „Meine Hilfe und mein Retter bist du“ – eine Hilfe ist also nicht etwas bloß Hinzugefügtes, beinahe Unwichtiges. Ein gleiches Gegenüber fehlt dem „adam“. GOTT schafft die Tiere des Feldes und die Vögel. Der Mensch benennt die Tiere und gliedert sie seinem Lebensbereich ein. Doch ein angemessenes Gegenüber findet er nicht. Ein einzelner Mensch ist inmitten der Tierwelt und einem herrlichen Garten noch nicht lebensfähig.Die Erschaffung des zweiten Menschen aus der Seite des ersten folgt. Das hebräische Wort für Seite wird in der Bibel nur an dieser Stelle mit Rippe übersetzt. Meist bezeichnet es eine Seite eines Gegenstandes, z. B. eines Berges. Dieser Schöpfungsakt wurde lange so verstanden, als wäre die Frau nachrangig. Doch die Entnahme der Seite zusammen gelesen mit dem Jubel des ersten Menschen verweisen auf die Zusammengehörigkeit und Gleichwertigkeit beider Menschen. Beide sind aus demselben Stoff gemacht. Eine alte jüdische Geschichte mag dies auf ihre Weise ausdrücken. Dort wird erzählt, dass GOTT den zweiten Menschen nicht aus dem Kopf des ersten geschaffen hat, damit nicht der zweite über den ersten herrsche. Er hat ihn nicht aus seinen Beinen gemacht, damit nicht der erste über den zweiten herrsche, sondern aus seiner Seite, damit sie Seite an Seite durch das Leben gehen. Angesichts des zweiten Menschen wird der erste „adam“ zu einem Mann (hebräisch „isch“), der zweite zu einer Frau („ischah“). Sie leben in Harmonie miteinander, haben nichts zu verbergen oder etwas, wofür sie sich schämen müssten.
Ein Bild der Harmonie und Sattheit. Ein Garten, der Nahrung gibt und der von Menschen zu bebauen und zu hüten ist. Tiere als Bereicherung der menschlichen Lebenswelt. Die Menschen, von der „adamah“ genommen und von GOTT belebt, gehören zusammen, ergänzen einander und sind aufeinander angewiesen. Dieser Mythos entwirft für den Anfang, der vor aller Zeit liegt, ein Bild der Fülle und Ausgewogenheit. Ein idealer Zustand wird gezeichnet, dem die Sehnsüchte von Menschen angesichts der realen Verhältnisse zufliegen. Nicht, dass es keine Arbeit gäbe, aber sie findet statt ohne mühselig zu sein. Es gibt zwar Unterschiede zwischen den Menschen, aber sie bringen nichts Trennendes mit sich. Menschen sind aufeinander angewiesen. Von einem gelingenden Zusammenleben wird erzählt und gesagt, dass dies von GOTT so angelegt und damit lebbar ist.
Den gesamten Text des „Enuma Elisch“ finden Sie auf www.kirchenzeitung.at (unter „Service“).