Seit einer halben Stunde suche ich nach meiner Brille. Ich weiß, wann und wo ich sie noch in der Hand gehabt habe. Ich bin nahe am Verzweifeln. Da, im dritten Durchgang durch dieselben Plätze, entdecke ich sie: in der Innentasche meiner abgelegten Jacke. Ein befreites Aufatmen, ein Blick nach oben. „Gott sei Dank!“
Danken geht wie von selbst, wenn ich innerlich bewegt bin, weil eine Last von mir abgefallen ist oder weil mich eine freudige Nachricht erreicht hat. Da drängt die Dankbarkeit ins Wort und ins Sichtbare. Deshalb sind wohl ein Großteil der Denk-mäler auf dieser Erde Dank-mäler. Elias Canetti hat vielleicht Recht, wenn er sagt: „Das Schwerste für den, der an Gott nicht glaubt, ist, dass er niemanden hat, dem er danken kann. Mehr noch als für seine Not braucht man einen Gott für seinen Dank.“ Zur Dankbarkeit kann man niemanden verpflichten. Ehrlich dankbar kann ich nur sein, wenn ich nicht dankbar sein muss. Die Aufforderung: „Du musst doch dankbar sein!“, erstickt die Dankbarkeit.
Danken und Denken. Dankbar werde ich, wenn ich selbst gedanklich und gefühlsmäßig bewerten kann, was ich empfangen habe. Zum Danken gehört das Denken. Das Nach-denken, das Dran-denken und das Be-denken: Was hat mich berührt, bewegt, was hat meine Seele lebendiger gemacht? In diesem Sinn verstehe ich den Rat von Bruder David Steindl-Rast: „Schlafen Sie nie ein, bevor Sie sich nicht gefragt haben: Wofür bin ich heute dankbar? Ich garantiere Ihnen, es fällt Ihnen jeden Tag etwas ein, sogar etwas Neues!“ Der Dank, der sich in mir rührt, wird nicht immer übereinstimmen mit dem Dank, zu dem ich verpflichtet bin. Nur der freie, lebendige Dank führt zur Haltung der Dankbarkeit. Die Dankbarkeit aber ist der Ursprung der Freude. Das Gegenteil der Dankbarkeit ist nicht der Undank, sondern die Ge-dankenlosigkeit, die alles als selbstverständlich nimmt. Aber nichts auf unserer Erde ist selbstverständlich. Schon gar nicht die Tatsache, dass ich da bin. Matthias Claudius hat ein wunderbares Gedicht geschrieben, dem er den Titel gegeben hat: „Täglich zu singen“. Und das beginnt so:
„Ich danke Gott und freue mich Wie’s Kind zur Weihnachtsgabe, Dass ich bin, bin! Und dass ich dich, Schön menschlich Antlitz, habe.“
Wer denkt, wird danken. Und der Dank drängt in Worte. In eigene oder in ausgeliehene, wie ich sie in den Psalmen der Bibel finde. Ein Glück, dass ich einen Gott habe für meinen Dank.
So bete ich
Oase
Leser/innen schreiben über ihre Erfahrungen mit dem Beten.
Ich war jahrelang stark suchend nach einer Gebetsform, die für mich im Alltag gut lebbar ist. So habe ich mit vorformulierten Gebeten der Kirche – Rosenkranz, Psalmen und Stundengebet – Erfahrung gehabt. Doch erst durch Exerzitien im Alltag und ignatianische Exerzitien entdeckte ich das Meditieren. Für mich ist das stille Dasein vor Gott tragend geworden für mein tägliches Leben. Ich darf mich, so wie ich bin, Gottes liebender Gegenwart aussetzen. Oft lese ich zu Beginn eine Bibelstelle oder meditiere ein Bild, wichtig ist mir, dass das in mir wirken kann, wie der hl. Ignatius sagte: Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das Verspüren und Verkosten der Dinge von innen. Sehr bereichernd ist für mich, dass ich meine Gebetserfahrungen mit meinem Mann teilen kann. Wir meditieren zusammen. Ich finde diese Zeit immer sehr verbindend, da wir uns auch kurz darüber austauschen, was uns angesprochen hat vom Bibeltext. Gott im eigenen Leben Raum geben – auf ihn hin hörend leben – darin möchte ich mich mehr und mehr einüben.
Maria Hofreiter, Kefermarkt
Ich bin gerade in Göttweig bei Fastenexerzitien. Täglich bete ich drei Mal den Engel des Herrn und das Vaterunser. Persönliche Anliegen verbinde ich mit dem Jesusgebet: „Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich ...“
Schon vor dem Aufstehen bete ich noch im Bett. Ob im Wohnzimmer oder untertags im Auto, bei Prozessionen oder am Friedhof, bei Bildstöcken oder Kapellen. Es gibt viele Orte für das Gebet.Wenn ich an einer Kirche oder an einem Marterl vorbeifahre, bete ich ein Stoßgebet. Daheim schaffe ich mir eine Atmosphäre für das Beten, indem ich eine Kerze anzünde und bewusst Stille halte. Dafür suche ich mir Texte und Bilder.
Leni Schlögl, Ohlsdorf
Gebet
Ich will dich rühmen, Herr, meine Stärke, Herr, du mein Fels, meine Burg, mein Retter, mein Gott, meine Feste, in der ich mich berge, mein Schild und mein sicheres Heil, meine Zuflucht.
Mich umfingen die Fesseln des Todes, mich erschreckten die Fluten des Verderbens. In meiner Not schrie ich zum Herrn und schrie zu meinem Gott.
Er griff aus der Höhe herab und fasste mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern. Er führte mich hinaus ins Weite, er befreite mich, denn er hatte an mir Gefallen.
Du, Herr, lässt meine Leuchte erstrahlen, mein Gott macht meine Finsternis hell. Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern.
Du schaffst meinen Schritten weiten Raum, meine Knöchel wanken nicht. Darum will ich dir danken, Herr, vor den Völkern, ich will deinem Namen singen und spielen.
Psalm 18
Psalmen für den Abend: Ps 4; 27; 40; 116; 119 ...
Übung
Meine Dank-Stelle
- Ich bete den Psalm 18. Jene Zeilen, bei denen sich in mir etwas regt, wiederhole ich öfters.
- Ich schaffe mir eine „Dank-Stelle“. Eine kleine (schöne) Schachtel, daneben Kärtchen. Jeden Abend schreib ich auf einzelne Kärtchen, wofür ich heute dankbar bin.
- Am Sonntag hole ich einige heraus, um mich zu erinnern, wofür ich Gott danken möchte.