Es war im September 2014. Maria Pimmingsdorfer, vulgo „Knoglin in Pötting“, starb während eines fröhlichen Ausflugs. Ein Schock für die Familie, vor allem ihren Mann, den Sepp. Seine Augen wurden müde und sehen fast gar nichts mehr. Die Erinnerung zog sich ins Innere zurück. Reden kann er auch nur mehr ganz wenig. Die Freude ist aus dem Haus dennoch nicht verschwunden. Zwei Pflegerinnen aus Rumänien tragen dazu bei.
Ausgabe: 2016/37
13.09.2016
- Matthäus Fellinger
Ein begnadeter Silomaurer ist er gewesen. In viele Bauernhöfen der Gegend stehen die Zeugen seines Fleißes, oft mehrere nebeneinander. Die schweren Eisenschablonen trug er mühelos. Jetzt sitzt er da im Rollstuhl, die Augen halb offen. Das verschmitzte Lächeln im Mundwinkel ist ihm geblieben. Das Alter – 80 ist er gerade geworden – sähe man ihm auch nicht an. Vor zwei Jahren ist seine Frau von einem Ausflug nicht mehr heimgekommen. Sie starb, ganz plötzlich. Mitten aus dem Leben, wie man sagt. Mit dem Sepp ist es von diesem Zeitpunkt an bergab gegangen. Da ist mehr gebrochen als nur die Kniescheibe, die er sich bei einem Sturz aus dem Bett brach. Alleine kann er so gut wie gar nichts mehr tun. Keine Viertelstunde kann man ihn alleine lassen.
Renate, die Tochter, ist Hausleiterin bei der Caritas in St. Pius in Peuerbach. Da sitzen wir im Gartenhäuschen. Renate, der Sepp und – Lori. Die Pflegerin. Loredana-Beatrice Bejinariu heißt sie mit vollem Namen. „Personenbetreuerin“ lautet die Berufsbezeichnung im Verzeichnis der Wirtschaftskammer. Sie kommt aus Konstanta an der Schwarzmeerküste Rumäniens. Ihr halbes Leben verbringt sie zurzeit hier in Pötting. Einen Monat dauert ihr Dienst, dann fährt sie heim, die 2000 Kilometer nach Constanta; zwölf Stunden mit dem Bus, zwölf Stunden mit dem Zug. Daheim warten ihre Kinder. Der vierjährige Albert, Alex ist sieben, und Lucian hat heuer maturiert. Er wird an der Marine-Akademie studieren, erzählt die Mutter stolz. Und Florin, ihr Mann natürlich. Er ist Polizist.
Das Geld aus der Pflege braucht Loris Familie dringend. Fährt sie am Monatsende heim, kommt Georgeta für die nächsten vier Wochen. Sie ist älter als Lori. 30 Jahre hat sie daheim in einem Schlachthof gearbeitet. Jetzt betreut sie Menschen wie Sepp. Sie kann erst ein wenig Deutsch. Mit Renate und Sepps Enkelkindern im Haus wird sie es rasch lernen. „Ich habe ja auch nichts gekonnt am Anfang, als ich nach Deutschland kam“, ist da auch Lori zuversichtlich.
Wenn Sepp nach Hause will
Wenn Sepp ganz „verloren“ ist, dann möchte er heim. Mit „heim“ meint er das Haus, in dem er die ersten sieben Lebensjahre verbracht hat. Dann führen sie ihn hinaus aus dem Haus, zum Schild, auf dem der Hausname „Knogl“ steht. „Das bist du“, sagen sie ihm. Dann führen sie ihn nach hinten in den Stadel. Der ist noch wie früher. Da kehrt der Sepp in seinem Kopf meist ins Heute zurück. Autofahren mag er gern. Mühsam ist es, ihn in den PKW zu setzen. Dann fahren Renate und Lori mit ihm herum in der Gegend, an die Orte, die er von früher kennt. Da erinnert er sich oft: „Da steht auch ein Silo von mir.“
Kontakt über Skype
Lori fühlt sich glücklich hier am kleinen Bauernhof. Vier Pferde sind noch da, Kühe haben sie keine mehr. Renates Mann Fred ist gelernter Tischler und arbeitet in einem Chemiebetrieb. Lori weiß sich in die Familie eingebunden. Auch in den umliegenden Nachbarhöfen kennt man sie nicht nur, sie gehört einfach mit dazu. Daheim im Knoglhaus sowieso. Opa Sepp, Renates Familie und „die Jungen“ wohnen beisammen. Da macht nicht nur ein jedes das Seine, sondern man hilft zusammen. Kochen, waschen, alles. Wer etwas tut, macht es auch für die anderen. Und manchmal wird in der Küche rumänisch und österreichisch zugleich gekocht. Der Opa aber ist Loris Hauptaufgabe, wenn Renate in Peuerbach im Dienst ist. Jeden Tag ist Lori mit ihrer Familie daheim in Kontakt. Die modernen Kommunikationsmittel sind da ein Segen. Whats App, Skype. Das macht die Sache leichter. Den Kindern, sagt sie, sei es kein Problem. Sie wissen ja, dass sie wieder kommt.
Schwere Tage
Es gab schwere Zeiten, gegen Ende des Winters, als Sepp in der Nacht einfach keine Ruhe fand und ihn die Träume schreckten. Zehnmal und öfter hieß es da aufstehen. Aber jetzt ist es viel besser. Der Sepp mag Lori. Das spürt sie. „Gut, dass wir sie haben“, sagte er einmal zu Tochter Renate, als das Reden noch leichter ging. Pflege war Lori nicht fremd. Daheim hat sie nach der Matura ihre Tante gepflegt. Bevor sie nach Österreich kam, arbeitete sie drei Jahre in Deutschland – ohne Anmeldung, auch ohne Versicherung. Zuletzt hatte sie in einer Familie drei Pflegebedürftige zu betreuen. In Österreich finden die Betreuungskräfte bessere Bedingungen vor, meint Lori.
Renate hatte sich früh mit der Frage einer möglichen Pflege auseinandergesetzt. Die Mutter hätte nicht in ein Heim gewollt. Obwohl Renate Altenheime schätzt, wollte sie dem Vater auch ermöglichen, daheim zu leben. „Für uns alle hat das einfach gut gepasst. Für Lori und Georgeta auch.“ Eine Kollegin hat sie auf die kleine Agentur in Rohrbach hingewiesen. Sie vermittelt nur, alles wird dann direkt zwischen Betreuerin und der Pflegefamilie abgewickelt. Das schafft Verbindung, die trägt.