„Engel von Dachau“ wurde der KZ-Häftling P. Englmar Unzeitig bald nach seinem Tod genannt. Der Mariannhiller Missionar war zuletzt Pfarrer in Glöckelberg, damals Diözese Linz. Am 24. September 2016 wurde er in Würzburg selig gesprochen.
Ausgabe: 2016/39
27.09.2016 - Josef Wallner
Als P. Engelmar Ende September 1940 in seine Pfarre Glöckelberg unterwegs war, hatte er eine sonderbare Begegnung. Er musste nach dem Weg in das abgelegene Dorf im Böhmerwald fragen. Nachdem ihm ein Mann Auskunft gegeben hatte, fügte dieser hinzu, dass es in Glöckelberg sehr kalt sei: Die Kälte, die man mit dem Thermometer messen kann, lässt sich ertragen, aber die religiöse Kälte ist furchtbar. So weiß Marie Unzeitig, die Schwester P. Engelmars zu erzählen.
Der Fremde hat durchaus Richtiges gesagt. Sowohl P. Engelmar als auch sein Nachfolger als Pfarrer, sein Ordensbruder P. Ansbert Bieberle litten sehr unter der Kirchenferne der Leute. Der Mariannhiller Provinzial sah sich sogar veranlasst, sich an die Linzer Diözesanleitung zu wenden: „Möchte Ew. Exzellenz bitten, dem P. Ansbert ein kurzes Aufmunterungsbrieflein zu schicken.“ Doch je länger der Krieg dauerte, desto mehr Glöckelberger fanden wieder in die Kirche – wie in vielen anderen Pfarren auch.
Zurück zu P. Engelmar. Seinem schüchternen Naturell entsprechend hat er nicht die Auseinandersetzung mit den örtlichen Nationalsozialisten gesucht, er war aber kein Duckmäuser. So hat er in einer Predigt gesagt: „Man soll dem Herrgott mehr gehorchen als den Mächten oder den Mächtigen“. Die Glöckelbergerin Emma Marx weiß das von ihrer Mutter. Sie selbst war im Frühjahr 1941 noch ein Mädchen, als diese Worte so oder so ähnlich gefallen sind. „Den Namen Hitler hat er auf der Kanzel nicht in den Mund genommen, hat die Mutter immer betont.“ Wie immer der Wortlaut genau gelautet hat: Dieser Satz genügte zur Verhaftung und zur Anklage: „Kanzelmissbrauch und Beleidigung des Führers“. Und zur Einweisung in das KZ Dachau. Am 3. Juni 1941 wurde er „überstellt“.
Kämpfer für das Deutschtum
Engelmar Unzeitig glaubte, dass es sich um eine Missverständnis handelte, das sich rasch aufklären würde. Er selbst ein Sudetendeutscher aus Mähren ruft in einem Brief aus dem Polizeigefängnis in Linz in Erinnerung, dass er stets ein Vorkämpfer für das Deutschtum gegen die tschechischen Unterdrücker gewesen ist. In Glöckelberg dürften aber einige Nationalsozialisten von Anfang an gegen ihn belastendes Material gesammelt haben. Der tschechische Priester Bedrich Hoffmann hat bereits im KZ streng geheim, ein Verzeichnis über die Lebensdaten und die Verhaftungsgründe seiner Mitbrüder angelegt. Dort finden sich über die Predigt hinaus, die P. Engelmar ins KZ brachte, Vorwürfe, die vermutlich in Glöckelberg gegen ihn erhoben wurden: Er hat im Religionsunterricht die Juden verteidigt und über die Zeitschrift „Der Stürmer“ gesagt, dass sie keine gute Zeitschrift ist. Ebenso ist er in dem Verzeichnis mit dem Satz zitiert: „Wenn die Kirche in noch so raffinierter Weise verfolgt wird, wird sie nicht untergehn.“ Jede einzelne Aussage war in den Augen der NS-Machthaber ein Verbrechen.
KZ als Ort des Gebets
Die Unmenschlichkeiten, die KZ-Häftlinge zu ertragen hatten, sind hinlänglich bekannt. Aus den Briefen P. Engelmars wird sichtbar, wie er damit umgegangen ist. Er nutzte die Haft zu Gebet und opfert seine Leiden auf, so P. Engelmar in der spirituellen Sprache seiner Zeit – vor allem für seine Pfarre Glöckelberg. Er verliert kein böses Wort über Glöckelberg. Im Gegenteil: in einer Reihe von Briefen interessiert er sich für seine ehemalige Pfarre und fragt nach den Erstkommunionkindern.
„Heilig“ für die Häftlinge
Im KZ ist der zurückgezogene P. Engelmar sehr beliebt, weil er einen Blick für die Not seiner Mithäftlinge hat. Von den Essenspaketen, die er erhält, teilt er großzügig aus. Auch der „Missionar in ihm“ bleibt im KZ lebendig. Er hatte vermutlich Ende 1944 die relativ sichere Priesterbaracke verlassen und ist als Blockschreiber zu den russischen Häftlingen gezogen, um dort als Seelsorger tätig zu sein. Als im Lager eine Flecktyphusepidemie ausbrach, stellte er sich freiwillig als Pfleger zur Verfügung. Keine zwei Monate vor der Befreiung des Lagers steckte er sich selbst an und starb am 2. März 1945 im Alter von 34 Jahren. Für die Mitgefangenen war völlig klar, dass hier ein besonderer Mensch sein Leben gelassen hat. Seine geistlichen Mitbrüder organisierten, dass seine Leiche einzeln verbrannt und die Asche aus dem KZ zu den Mariannhiller Missionaren nach Würzburg geschmuggelt wurde.
Der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann fasst beim Seligsprechungsgottesdienst im Kiliansdom die Bedeutung des Märtyrers P. Engelmar Unzeitig für heute präzise zusammen: „Dort, wo Gottes Gegenwart am wenigsten vermutet wird, im KZ, da strahlt sie in einem Menschen auf, der sich für die Mithäftlinge hingibt.“
Gestapo-Foto von P. Engelmar Unzeitig
Dieses Bild von P. Engelmar Unzeitig wird hier erstmals veröffentlicht. Es wurde bei der erkennungsdienstlichen Erfassung bald nach der Verhaftung am 21. April 1941 in Linz aufgenommen. Das Foto ist Teil eines unvollständig erhaltenen Gestapo Aktes, in dem sich auch der amtliche Grund der Verhaftung findet: Kanzelmissbrauch mit Beleidigung des Führers. Der Akt wurde für die Unzeitig-Biografien bislang noch nie verwendet.
Aus den Briefen des seligen P. Engelmar Unzeitig
Gott verknüpft uns mit den Mitmenschen
Die Briefe, die P. Engelmar Unzeitig CMM aus dem KZ Dachau geschrieben hat, sind Glaubenszeugnisse, die zu Herzen gehen. Man kann sie nicht lesen, ohne angerührt zu werden. Als der rote Faden von Frühsommer 1941 bis Ende Jänner 1945 zieht sich die unerschütterliche Überzeugung, dass er überall Priester sein kann und möchte – auch in der Hölle des KZ.
„Wie vieles lernt der Mensch erst durch die Erfahrung in der Schule des Lebens. Wir sollen wohl die Friedlosigkeit in der Welt für die anderen mitfühlen und miterleben und ihnen zum wahren Frieden verhelfen. Dann wundert es uns nicht, wenn Gott uns manches aus der Hand nimmt, was uns lieb und teuer war. Doch was geht über das Glück, Gott selbst in unserem Herzen zu wissen, der ja die Quelle aller Seligkeit und allen Friedens ist.“ Dachau, 15. Dezember 1941
„Wir Menschen sind ja nicht nur für unser Seelenheil verantwortlich, auch unserer Mitmenschen Glück und Heil hat Gott mit dem unseren verknüpft.“ Dachau, 22. Februar 1942
„Wenn ich heute an meinen Primiztag denke, dass ich nun schon die längere Zeit meines Priesterlebens herinnen verbringe, so muss man doch sagen, Gottes Wege sind wunderbar.“ Dachau, 15. August 1943
„So können wir seine Ehre mehren, wenn wir seiner Gnadenkraft kein Hindernis entgegensetzen und uns restlos an seinen Willen hingeben. Liebe verdoppelt die Kräfte, sie macht erfinderisch, macht innerlich frei und froh. Es ist wirklich in keines Menschen Herz gedrungen, was Gott denen bereitet, die ihn lieben‘.“ Dachau, Datum nicht mehr eruierbar