Bischof Manfred Scheuers Wort zur Österlichen Bußzeit.
13.02.2018
Liebe Brüder und Schwestern!
Vor kurzem wurden unterschiedliche Menschen einer Pfarre eingeladen, kurz ihre Position in der Kirche zu beschreiben. Auf die Frage: „Wo siehst du dich in der Kirche?“ gab es ein breites Spektrum von Antworten, wie etwa die folgenden:
„Ich sehe mich als eine Art Vermittlerin des jungen Christentums. Dahingehend, dass ich auch meinen nicht so kirchlichen Freunden auch offen erzähle, dass ich an Gott glaube und die Katholische Jugend super finde und ihre Initiativen, Kirche neu und modern und zeitgerecht zu gestalten.“ (Mila)
„Ich bete jeden Mittwoch im Gebetskreis eine Stunde für den Priesternachwuchs. Das sehe ich als meine Aufgabe in der Kirche.“ (Franz)
„Mein Platz in der Kirche? Man kann es mit einem Wort sagen: hinten.“ (Alex)„Mein Platz ist bei den Menschen, einfach wie sie sind... auch wenn das manchmal eine Herausforderung ist, aber das ist Leben und der Platz mitten im Leben ist echt schön.“ (Elisabeth) „Die Gottesdienste sind mir nicht wichtig, aber oft gehe ich in eine Kirche und zünde dort ein Kerzerl an.“ (Michael)
So vielfältig und bunt wie diese Aussagen ist unsere Kirche. Es gibt nicht einfach den Gläubigen. Es gibt nicht die Kirchgängerin. Jeder mit seinem Glauben, jede mit ihrem Bild von Kirche ergibt ein Mosaik an Zugängen zur Nachfolge Jesu. Bisweilen kann diese Buntheit auch benommen machen: Was eint uns? Sind wir tatsächlich auf einem gemeinsamen Weg unterwegs?
Zukunftsweg „Kirche weit denken“
2017 haben wir in der Diözese Linz einen Zukunftsweg begonnen. „Kirche weit denken“ – so lautet das Bestreben dahinter. Wir wollen als Kirche von Oberösterreich in den kommenden Monaten und Jahren einen Weg beschreiten, der beherzt und im Vertrauen auf den Geist Gottes in vielen Facetten eine Neuausrichtung für unsere Diözese bringen wird. Bei diesem Weg ist es uns ein besonderes Anliegen, die Engagierten in ihrem Tun zu stärken und neue Perspektiven aufzuzeigen.
Als Kirche sind wir aber nicht auf den binnenkirchlichen Tellerrand beschränkt. Lebendiges Christsein begegnet ja nicht nur im Gottesdienst oder im Pfarrheim. Lebendiges Christsein beginnt bei einer kleinen, achtsamen Geste im Alltag, findet dann statt, wenn ehrlich und mit Freude die Sakramente gefeiert werden, und geht bis zur zeitlich begrenzten ehrenamtlichen Mithilfe in einem sozialen Projekt. Viele Menschen, die sich der Kirche zugehörig fühlen, die sich selbstverständlich als Christin, als Christ bezeichnen, sind dabei auf der Suche nach dem Schatz der Kirche und nach Orientierung in ihrem Leben. Als gemeinschaftlich organisierte Kirche sollen wir uns fragen: Wie können wir diesen Menschen entsprechende Anknüpfungspunkte für ihr Suchen und Fragen unterbreiten? Dabei ist es uns ein besonderes Anliegen, die spirituell Suchenden und sozial Interessierten in der ganzen Bandbreite von Nähe und Distanz im Blick zu haben und zu schätzen. Glaubhaft wird uns das nur gelingen, wenn uns der christliche Glaube trägt: der Glaube an „Christus, den menschgewordenen Gott, der so groß ist, dass er es nicht nötig hat, andere klein zu machen, weil Gott mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnt (Kol 1,19) – eine Fülle, die so voll ist, dass sie überläuft und ihre Spuren auch dort hinterlässt, wo man sie nicht vermuten würde.“[1]Reden wir miteinander!
Eine wichtige Basis für diesen Zukunftsweg wird das Gespräch sein.
Die Kirche ist eine Gemeinschaft, die das Leben teilt und sich über den Glauben austauscht. Das gehört wesentlich zu unserem Selbstverständnis. Ein Austausch wird dann konstruktiv und fruchtbar, wenn er von Wertschätzung und von einem aufmerksamen Aufeinander-Hören geprägt ist. Das gilt für die Gemeinschaft mit der Universalkirche genauso wie für den Dialog der Gläubigen untereinander. Unbestritten gibt es unterschiedliche Spiritualitäten, unterschiedliche Kirchenstile, unterschiedliche Ausdrucksformen des Glaubens. Diese Unterschiede lassen sich nicht einfach beiseiteschieben. Aber es dürfen nicht jene Stimmen die Oberhand behalten, die sagen: Wir können und wollen nicht miteinander! Ich bin davon überzeugt, dass das zusammenhaltende „Wir“ in der Kirche stärker sein wird, doch dafür ist die Bereitschaft zum Dialog untereinander unumgänglich.
Genauso suchen wir den Dialog mit denen, die oft nur „im Vorbeigehen“ mit Kirche in Berührung kommen, die sich aber mit der Kirche identifizieren, weil sie ihre Bildungsangebote oder Beratung in Anspruch nehmen oder einfach, weil sie die Ruhe im historischen oder modernen Kirchenraum bzw. die Erreichbarkeit von Seelsorgern oder Seelsorgerinnen, das „Licht im Pfarrhof“ schätzen. Und das ist eine große Anzahl. Ja – es ist die Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken in Oberösterreich. Der Theologe Tomáš Halík hat dafür einmal den Petersdom im Rom als Beispiel angeführt, der „nicht nur aus dem inneren Kirchenraum besteht, sondern auch aus dem von der offenen Kolonnade gesäumten Platz, über den ununterbrochen Menschenmassen strömen, die sich gar nicht bewusst sind, dass sie gleichzeitig draußen und ‚drinnen‘ sind.“[2]
Und schließlich endet diese Begegnung mit Menschen nicht an unseren konfessionellen Glaubensgrenzen – sie weitet sich vielmehr auf die Glaubenden unserer christlichen Schwesterkirchen, auf die Menschen anderer Religionen, auf die Nicht-Mehr- und die Nicht-Glaubenden in unserer säkularen Gesellschaft.
Am Evangelium Maß nehmen
Der Zukunftsweg „Kirche weit denken“ ist also einer, der uns hinausführt und herausfordern wird, er wird Auswirkungen auf Grundausrichtungen und Schwerpunktsetzungen haben. Maß müssen wir dabei stets am Evangelium nehmen.
Entspricht unser Leben und Handeln dem Evangelium? Haben wir Augen für Menschen in Not? Wie kommen wir mit den jungen Menschen in Kontakt, die sich ernsthafte Lebensfragen stellen und mit denen Gott in vielleicht ungewöhnlicher Weise schon Kontakt aufgenommen hat? Papst Franziskus spricht von einer „Kirche, die dem Geheimnis Gottes Raum gibt; eine Kirche, die dieses Geheimnis in sich selbst beherbergt, so dass es die Leute entzücken und sie anziehen kann. Allein die Schönheit Gottes kann eine Anziehungskraft ausüben.“[3] Das Ergebnis der pastoralen Arbeit stützt sich nicht auf den Reichtum der Mittel, sondern auf die Kreativität der Liebe. Sicher sind auch Zähigkeit, Mühe, Arbeit, Planung, Organisation dafür nützlich. Allem voran aber muss man wissen, dass die Kraft der Kirche nicht in ihr selbst liegt, sondern sich im Geheimnis Gottes verbirgt. Bei unseren Aufbrüchen darf daher das Gepäck nicht zu schwer sein. Ist der Rucksack voll mit Bürokratie, mit Rechthaberei, mit Sicherheitsdenken oder auch mit materiellen Ansprüchen, würde sich sehr bald Müdigkeit und Erschöpfung einschleichen.
Die anstehenden Fragen und Herausforderungen stellen uns jedoch unumgänglich vor die Entscheidung, uns neu im Evangelium zu verankern und uns auf die Mitte des Glaubens an den dreieinen Gott zu besinnen. Papst Franziskus bringt es auf den Punkt: „Brechen wir auf, gehen wir hinaus, um allen das Leben Christi anzubieten. (…) Mir ist eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“[4]
Es kann und wird so sein, dass dieser Prozess neue und vielleicht ungewohnte Antworten auf unsere Fragen liefern wird. Für den Zukunftsweg haben wir uns drei Ziele gesteckt: Zum Ersten wollen wir eine gemeinsame Vision in der Diözese Linz haben, wir wollen zum Zweiten zu mehr Bewegung der Kirche in Oberösterreich motivieren und möglichst viele Mitglieder, ja alle Menschen – auch die Suchenden und „Fernstehenden“ – ansprechen und zum Dritten wollen wir durch klare Antworten mehr Einheit in der Vielfalt und Verbindlichkeit in unserem Tun schaffen.
Loslassen und sich einlassen
Als Bischof bitte ich Sie nun darum, diesen Weg im Gebet und im Hören auf das Wort Gottes, im gemeinsamen wertschätzenden Austausch und in einer wachen Offenheit für die gesellschaftliche Realität, für die Freuden, Hoffnungen, Ängste und Nöte der Menschen in unserem Land, mitzugehen. Wir stehen am Beginn der Fastenzeit, der österlichen Buß- und Besinnungszeit. Sie kann Anlass sein für eine persönliche Neubesinnung, die mit der Intention des diözesanen Zukunftsweges durchaus gut zusammenklingen kann, indem man darüber nachdenkt:
Wo kann ich loslassen und mich einlassen auf Begegnungen, die ich bisher aufgeschoben habe, die mir vielleicht unangenehm sind? Wo kann ich loslassen und mich einlassen auf Themen, die meine eigene Zukunft oder die Zukunft meiner kirchlichen Gemeinschaft betreffen, die ich aber allzu gern immer hintanstelle? Wo kann ich loslassen und mich einlassen auf das mitunter überraschend neue Geheimnis unseres Glaubens?
Im Blick auf das Osterfest der Auferstehung wünsche ich Ihnen und mir einen Glauben, der getragen ist von der Überzeugung, dass unser Gott ein treuer Gott-mit-uns ist, dessen Geist uns trägt und atmen lässt, der uns mit seiner Frohen Botschaft in die Welt sendet.
Linz am Aschermittwoch, den 14. Februar 2018
+ Manfred Scheuer
Bischof von Linz
Dieses Bischofswort möge an einem Sonntag in der österlichen Bußzeit bei den Gottesdiensten ganz oder in Auszügen vorgetragen oder auch im Pfarrbrief veröffentlicht werden. [1] Michael Seewald in: Christ in der Gegenwart 51/2017, 566.
[2] Tomáš Halík, Glaube und sein Bruder Zweifel, Freiburg 2017, 264.
[3] Papst Franziskus in einer Ansprache an die brasilianischen Bischöfe am 27.7.2013.
[4] Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii Gaudium“, Nr. 49.