Beterin und Mystikerin, so blieb sie in Erinnerung, ihre Briefe aber zeugen auch vom eindringlichen politischen Wirken.
Katharina ist mithin einer der besten Beweise dafür, dass es nicht gut wäre, wenn Frauen in der Kirche schwiegen. Im Gedächtnis der Kirche und Gläubigen blieb sie als Mystikerin und Beterin in Erinnerung, die sich der Armenfürsorge und Krankenpflege widmete, die Visionen Christi und dessen Wundmale empfing. Der direkte Blick in ihre Briefe vermittelt aber auch ein eindringliches politisches Engagement.Päpste und Papstwahlen wurden im 14. Jh. zum Spielball der herrschenden Mächte. Als Klemens V., zuvor Erzbischof von Bordeaux, gewählt wurde, schlug dieser schließlich seine Residenz in Avignon auf, wo er völlig unter die Kontrolle Frankreichs geriet. Der Papst wurde in den Augen der Christenheit zu einem französischen Hofbischof. Sechs weitere Päpste, allesamt Franzosen, residierten in Avignon, das zu einem blühenden Kunstzentrum aufstieg. Währenddessen verödete Rom, auf dem Petersplatz weideten Kühe und Ziegen. Hinzu kam der moralische Niedergang der Kurie: Unter anderem musste für jeden kirchlichen Titel eine erhebliche Gebühr nach Avignon abgeliefert werden, denn der luxuriös geführte Papsthof samt Prachtbauten war zu finanzieren. Die meisten kirchlichen Würdenträger häuften sich deshalb Pfründe an, um Einkünfte zu erlangen. Die Kirche in Avignon vergaß die Seelsorge und verkam zu einer Geldinstitution, während in Europa die Pest wütete und die Gläubigen litten.
Deutliche Worte. In dieser Zeit wird Katharina in ärmsten Verhältnissen geboren. Mit 15 schließt sie sich dem Dritten Orden der Dominikaner an. Um 1370, als etwa 22jährige tritt sie jedoch in die Öffentlichkeit und zieht immer mehr Menschen mit der Ausdruckskraft ihrer Sprache in ihren Bann. Sie rüttelt die daniederliegende Kirchenleitung auf, erinnert den Klerus an seine Aufgaben und läßt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: „Der schlimmste Gräuel vor Gott ist der Anblick der Blumen, die aus dem mystischen Leib der Kirche sprießen und, anstatt süßen Duft zu verbreiten, nach allen Lastern stinken.“
Ihr Mut verstört. Ihr Ruf verbreitet sich in ganz Europa, was bei der Kirchenleitung zugleich Unruhe und Misstrauen erregt. 1374 wird sie vor das Generalkapitel der Dominikaner zitiert. Aber auch dort bringt sie ihre Gegner zum Schweigen. Schließlich zieht sie mit ihrer Schar nach Avignon. Papst Gregor XI., ein Mann von ebenso starker Sittenstrenge wie Senilität, wird von ihr – gemeinsam mit Brigitta von Schweden – bedrängt, nach Rom zurückzukehren und den Missbräuchen in Avignon ein Ende zu setzen. Die französischen Kardinäle sind dagegen. Tatsächlich reist der Papst aber 1377 zurück nach Rom. Katharina muss miterleben, wie die nächsten verwirrenden Papstwahlen zum großen abendländischen Schisma führen, zu einer Kirchenspaltung, bei der zwei Päpste gleichzeitig den Anspruch auf die Leitungsgewalt der Kirche erheben. Sie geht nach Rom, vermag aber keinen Frieden mehr zu stiften und sieht nur die trostlose Situation einer gespaltenen Kirche. Die Briefe der letzten Lebensmonate zeugen von ihrer Verzweiflung.
Unvergessen. An die Päpste kann sich heute niemand mehr erinnern, Katharina aber ist eine der größten Gestalten der Kirchengeschichte. Papst Paul VI. erhob sie zur Kirchenlehrerin und Johannes Paul II. ernannte sie gemeinsam mit Brigitta von Schweden und Edith Stein zur Schutzpatronin Europas.
Dietmar W. Winkler,Professor für Patristik und Kirchengeschichte, Universität Salzburg
„Der freie, kraftvolle und eindringliche Ton, mit dem sie Priester, Bischöfe und Kardinäle ermahnt, macht Eindruck.“
Johannes Paul II.
Katharina von Siena
- 1347 in Siena geboren - öffentliches Auftreten ab 1370 - 1374 Befragung durch das Generalkapitel der Dominikaner - 1376 Zusammentreffen mit dem Papst Gregor XI. in Avignon - 1380 in Rom gestorben - 1461 Heiligsprechung
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