Er ist einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts, der mit seinem Werk schon Jahrzehnte vor dem II. Vatikanischen Konzil (1962–65) wesentliche Inhalte vorausdachte. Am Zustandekommen von nicht weniger als acht Konzilsdokumenten war der herausragende Dominikaner beteiligt. Und dennoch musste Yves Congar von der Kirche Unglaubliches erleiden. Er wurde von den obersten Stellen des Vatikans geradezu verfolgt, weil sie nicht bereit und fähig waren, dem Wegbereiter der Einheit der Kirche folgen zu können.
Nach seinen Studien in Reims und Paris sowie der Priesterweihe ist der Elsässer 1931 bis 1954 Professor an der berühmten Dominikanerhochschule Le Saulchoir. Er erweist sich als Denker und Mystiker, geprägt von tiefer Spiritualität und ebensolchem profunden Forscherdrang. Congar geht es um das Wesen der Kirche und er denkt über wahre und falsche Reformen nach. Er befasst sich wie kein anderer mit dem Lebensprinzip des Glaubens, dem Heiligen Geist, und er erarbeitet ein fundamentales dreibändiges Werk über ihn.
Der Zeit voraus. Er erkennt schon früh die Gespaltenheit der Kirche und verfasst bereits als 33-Jähriger seine grundlegende ökumenische Schrift „Zerrissene Christenheit“. Mit seinem epochalen Werk „Der Laie“ bestimmt er diesen positiv und nicht einfach als „Nicht-Kleriker“, denn seine Studien lassen ihn die Kirche neu als Volk Gottes und Gemeinschaft (Communio) erkennen. Zur Erneuerung des kirchlichen Denkens und Lebens verweist Congar immer wieder auf die Quellen des Christentums: die Bibel, die Kirchenväter und die Tradition der frühen Kirche.
Damit handelt er sich ab 1947 größte Schwierigkeiten mit vatikanischen Stellen ein, denn diese, geprägt von einer starren Theologie, interpretieren Congar unweigerlich falsch. Das „Heilige Offizium“, wie die Glaubenskongregation damals hieß, verbietet Neuauflagen und Übersetzungen seiner ökumenisch orientierten Bücher. Er wird von Bischöfen und Ordensmitbrüdern wegen seiner ökumenischen Gedanken denunziert, aber auch wegen pastoraler Fragen und seinem Engagement für Arbeiterpriester.
„praktisch zerstört“. 1954 erhält Congar Lehrverbot und muss seine Ordenshochschule verlassen. Sein erstes Exil führt ihn nach Jerusalem, wo er am Bibelinstitut der Dominikaner völlig isoliert ist. Im Winter 1954 wird er nach Rom zitiert, wo ein langes Verhör im Hl. Offizium stattfindet. Congar darf sich dabei keine Notizen machen und wird zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Rom wird sein zweites Exil, das er erst 1955 wieder nach Frankreich verlassen darf. Schon wenige Tage später kommt die Weisung, nach Cambridge zu gehen, sein drittes Exil. Ein erschütternder Brief Congars an seine 80-jährige Mutter zeigt seine Aussichtslosigkeit: „Sie haben mich praktisch zerstört ...“. Dem auch körperlich schwer Leidenden ist die lebendige Vermittlung des Glaubens an die Menschen wichtig, aber er darf nicht lehren und nichts veröffentlichen. Seine Manuskripte werden zurückgewiesen, ohne stichhaltige Gründe, ohne dass er sich verteidigen hätte können. Man habe ihm alles genommen, schreibt er, was wahres Leben aus dem Glauben gewesen ist.
Es ist ein beschämendes Kapitel kirchlicher Zeitgeschichte, wie mit P. Congar in den Jahren vor Papst Johannes XXIII. umgegangen wurde. Dieser ernennt ihn jedoch zum Konsultor der Vorbereitungskommission zum II. Vatikanischen Konzil, er wird einer der einflussreichsten Konzilstheologen. 1994, ein halbes Jahr vor seinem Tod, nimmt ihn Johannes Paul II. in das Kardinalskollegium auf.
Dietmar W. Winkler, Professor für Patristik und Kirchengeschichte, Universität Salzburg
Yves Congar - Kurzbiographie
- 1904 in Sedan (Frankreich) geboren - 1925 Eintritt in den Dominikanerorden - 1930 Priesterweihe - 1946 bis 1956 Konflikt mit Rom, Verbannung und Lehrentzug - 1962-65 Konzilstheologe - 1994 Berufung in das Kardinalskollegium - 1995 in Paris gestorben
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