Mehr von Gottes Wertschätzung als von Sünde sprechen
Jesus Christus begegnet den Menschen im Gottesdienst ganz selbstverständlich als Heiland und Erlöser der ganzen Welt. Doch verstehen heutige und kirchenferne Menschen das überhaupt noch? Über diese Herausforderung spricht die Tübinger Theologin Johanna Rahner diese Woche bei der Österreichischen Pastoraltagung in Salzburg (12. bis 14. Jänner 2017) – und hier im Interview.
„Jesus, der Retter ist da“, haben wir zu Weihnachten gesungen. Lässt sich den heutigen Menschen noch einfach erklären, wovor Jesus rettet?
Johanna Rahner: Durch Entwicklungen der Kirchen- und Theologiegeschichte haben wir ein traditionelles Verständnis dieser Rettung, das sich auf die Sünden der Menschen bezieht. Heutigen Menschen erscheint das nicht mehr nachvollziehbar und dieser Weg ist auch eine Verengung. Gerade Weihnachten macht deutlich, dass die Menschwerdung Gottes seine Wertschätzung für die Menschen betont. Das führt weg von der Betonung der Sünde. Die Orthodoxie kannte diese Sündenfixiertheit nie. Dort heißt es: Gott wurde Mensch, damit der Mensch vergöttlicht werden kann.
Sollte man also eher betonen, dass Jesus zum ewigen Leben hin rettet?
Rahner: Ich würde nicht ausschließlich diesen Zugang in den Vordergrund stellen. Christi Botschaft vom Reich Gottes hat auch eine ganz diesseitige Bedeutung und das Christentum ist eben keine reine Jenseitsreligion. Mich spricht der Gedanke an, dass die christliche Hoffnung auf Gerechtigkeit heutige Menschen inspirieren kann. Wir erleben Situationen, in denen Menschen Gerechtigkeit nicht in dieser Welt widerfahren kann. Dass Gottes Gerechtigkeit gerade die Opfer der Geschichte rettet, begründet heute die Jenseitshoffnung. Wenn es nur um das eigene Wohlergehen geht, halte ich das für eine etwas esoterisch angehauchte Spiritualität.
Die Botschaft Christi für unsere Welt fußt auf Nächsten- und Feindesliebe. Ist das angesichts von Flüchtlingskrise und Terrorismus wirklich leichter vermittelbar als Jenseitshoffnung?
Rahner: Christinnen und Christen haben gute Gründe, aus ihrem Glauben heraus andere Schlüsse zu ziehen, als jene, die politisch derzeit in Mode sind. Bundeskanzlerin Merkels Haltung zu den Flüchtlingen wurde vor allem von Christinnen und Christen unterstützt. Es sind oft engagierte Gemeinden, die sich zum Thema Asyl schon länger Gedanken machen. Das mag politisch belächelt werden, aber als Christ/in kann man dafür einstehen und Werbung dafür machen. Wer freilich die Verteidigung des christlichen Abendlandes gegen andere Menschen auf den Lippen trägt, vertritt keine echten christlichen Werte. Es ist eher ein kulturelles Versatzstück und eigentlich so unchristlich, dass es mir graut.
Im Osten Deutschlands sind Christ/innen heute in der Minderheit. Halb im Scherz heißt es, die Mehrheit dort sei „religiös naturbelassen“. Wie soll die Kirche allgemein angesichts von „fröhlichen Heiden“ (Kurt Tucholsky) vorgehen?
Rahner: Wir sollten uns zuerst davor hüten, sie moralisch abzukanzeln. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt: Wenn es um die Würde des Menschen geht, sollen wir mit allen Kräften ohne Vorbehalte zusammenarbeiten. Natürlich ist es legitim, als Christ/in dann zu schauen, ob es ein Gegenüber gibt, das dieselben Werte ohne Gott begründet.
Aber entsteht angesichts des Zurückgehens des Christentums in Europa nicht ein gewisser „Missionsdruck“?
Rahner: Wer sagt Ihnen, dass Christ/innen weniger werden? Ist der Gottesdienstbesuch ein geeigneter Maßstab, um das festzustellen? Solche formalen Kriterien machen mich skeptisch. Es ist ja damit noch lange nicht gesagt, dass das, was das Christentum ausmacht, nicht auch ‚außerhalb’ zu finden ist oder in anderer Form wieder auftaucht.
Woran denken Sie da zum Beispiel?
Rahner: Ich denke unter anderem an christliche Werte, die nach wie vor vorhanden sind und sich zum Beispiel bei der Aufnahme von Flüchtlingen zeigen. Auch das Spendenniveau ist hoch. Da nehme ich ethische Grundüberzeugungen, für die das Christentum steht, gerade auch ‚draußen’ wahr.
Wenn man nach dem Glaubensbekenntnis fragt, sieht das vermutlich etwas anders aus.
Rahner: Wenn ich das Christentum als Festhalten an Glaubenssätzen definiere, habe ich vielleicht nicht ganz verstanden, worum sich der christliche Glaube dreht. Der Glaubensbegriff des Zweiten Vatikanischen Konzils ist jedenfalls ein anderer: Das erste Kriterium, an dem man das Christentum festmachen kann, sind doch Taten, welche die Sätze des Glaubens erfahrbar machen.
Um das Reformationsgedenken heuer ökumenisch zu machen, steht Christus im Vordergrund. Sehen Sie darin eine Chance, aktuellen kirchlichen Herausforderungen zu begegnen?
Rahner: 2017 ist ein sehr guter Anlass darüber nachzudenken, auf welchem Grund die menschliche Gottesbeziehung steht. Martin Luther geht vom Angenommen-Sein, vom Gerettet-Sein des Menschen aus, das Folgen hat. Darum schreibt er, dass ein Christenmensch ein freier Herr ist und gleichzeitig in der Liebe, die wir einander schulden, jedermann untertan – damit der Glaube eben auch sichtbar wird.
Wie muss sich die Kirche ändern, wenn sie sich wie eingangs besprochen von der Konzentration auf die Sünden verabschieden soll?
Rahner: Die Kirche sollte davon ausgehen, dass sie den Menschen tatsächlich etwas zu sagen hat, nämlich die Botschaft von Weihnachten: Gottes Menschwerdung traut dem Menschen selbst etwas zu, und zwar jedem! Die Kirche trägt Verantwortung dafür, diese Botschaft auch spürbar zu machen. Eine Grenzziehung zwischen ‚gehört dazu’ und ‚gehört nicht dazu’ ist da wenig hilfreich. Es gilt, einen gut katholischen Satz der südamerikanischen Befreiungstheologie zur Geltung zu bringen: Gott ist immer vor dem Missionar da. «