Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden benützt, um Rollenzuschreibungen festzulegen, aber auch um die scheinbar so großen Unterschiede im Gefühlsbereich zu erklären und zu rechtfertigen. Wenn es hormonell eine Begünstigung gibt, dann die, dass Mädchen eine leichte Überlegenheit im sprachlich-kreativen Bereich und Buben in abstrakten, mathematischen und logischen Bereichen haben. In puncto Intelligenz sind so gut wie keine Unterschiede festzustellen. Die eher weiblich kategorisierten Tugenden wie Romantik und Zuwendung werden durch die weiblichen Hormone Progesteron und Östroradiol leicht begünstigt. Dies kann sich auf die Erziehung auswirken, denn Erziehung funktioniert unter anderem so, dass sie erfolgreicher ist, wenn die natürlichen Impulse aufgegriffen werden.
Mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede. Wir alle haben ein ähnliches Gefühlsvokabular, denn wir kennen geschlechtsunabhängig Gefühle wie: Freude, Zuversicht, Traurigkeit, Angst, Ohnmacht, Wut, Schmerz, und innere Zustände wie: Lebendigkeit, Kraftlosigkeit, Stärke. Wir haben allerdings durch unsere geschlechtstypische Erziehung gelernt, diese Gefühle unterschiedlich zu bewerten und unserer Rollenerwartung entsprechend auszudrücken bzw. eben nicht auszudrücken. Wenn nun die sprachliche Ausdrucksfähigkeit hormonell bei Frauen leicht begünstigt ist und es von der Rollenzuschreibung von klein auf anders gefördert wird, über Beziehung und über Gefühle zu reden, so ist es nicht verwunderlich, dass hier ein maßgeblicher Unterschied wirksam wird. Männern sagt man nach, dass sie wenig Übung haben im Reden über Persönliches und Gefühlsbelange, dass ihr Sprachschatz kleiner ist und dass sie mitunter auch etwas mundfaul sind.
Gefühle zulassen, nicht bewerten. Gefühle als negativ und positiv zu kategorisieren, behindert die Selbstwahrnehmung und letztlich deren Ausdruck. Ein Beispiel: Ich spüre, ich bin traurig. Die Traurigkeit bewerte ich aber als negatives Gefühl, weil sie nicht zu meinem Selbstbild passt. Ich werde also alles tun, um dieses Gefühl nicht aufkommen zu lassen und es auf keinen Fall zeigen. Der Preis für diese Strategie ist: Ich verliere an Echtheit und riskiere psychosomatische Symptome, denn Gefühle lassen sich eine dauerhafte Abwehr oder Umdeutung nicht gefallen. Die Bewertung und folglich die Abwehr und das Nicht-Zeigen von Gefühlen lernen wir in unserer Kindheit, nicht zuletzt durch unsere männliche bzw. weibliche Erziehung. Aber Gefühle wahrzunehmen behindert uns nicht, es macht uns weder männlicher noch weiblicher, sondern lebendig und berührbar, berührbar auch für das andere Geschlecht. Es geht demnach weniger um typisch weiblich und typisch männlich, sondern um Respekt vor dem „Fremden“, auch Respekt und Zulassen zum Fremden – zum Weiblichen und Männlichen in mir. Die Fixierung auf Unterschiede ist der Nährboden für Vorwürfe und schafft Distanz. Männer und Frauen sind doch einander oft fremd. Es bleibt ein Rest an Unverstehen, ein fruchtbarer und manchmal furchtbarer Rest. Die Fremdheit ist ein belebendes Lebenselixier, aber sie ist auch Grund mancher Missverständnisse und Konflikte.
Aus der Praxis: Wie oft hören wir Partner klagen: „Du zeigst deine Gefühle nicht“, „Bei dir weiß ich nicht, wie ich dran bin“, oder gar: „Du bist gefühlstaub.“ Nach wie vor sind dies Klagen, die eher von Frauen an ihre männlichen Partner gerichtet sind, und sie entsprechen damit einem Klischee bzw. einem Geschlechterstereotyp: Männer tun sich im Allgemeinen mit Gefühlen schwer. Stimmt das so?