Mit Kerzen in der Hand statt mit Steinen in der Tasche
Ob Andachten oder Montagsdemonstrationen: Der friedliche Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren wäre ohne den Einsatz von Christen undenkbar gewesen. Dauerhaften Zulauf brachte die Wende den Kirchen nicht.
Ausgabe: 2014/45, Maser, Berliner Mauer, SED-Diktatur, Richter, Dresden
04.11.2014 - Heinz Niederleitner
„Dass die Revolution 1989 weitgehend friedlich verlief, war eine historische Leistung der Kirchen“, sagt Peter Maser – wobei er vor allem die evangelischen Kirchen meint. Der Kirchenhistoriker, der an den Kommissionen des deutschen Bundestags zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mitgearbeitet hat, verweist zwar auch darauf, dass die Sowjets klarmachten: Unsere Panzer bleiben in der Kaserne. Aber das war nur ein Aspekt. „Mit unzähligen Friedensandachten – von Berlin und Leipzig bis in die kleinen Städte – wurde die Gewaltlosigkeit in der Bürgerbewegung regelrecht eingeübt. Ein geschichtliches Wunder ist, dass bei allem Mangel in der DDR die Kerzenproduktion gut funktionierte: Mit den Kerzen gingen die Menschen zu Andachten und Demonstrationen: Das bedeutete: Ich gehe nicht mit dem Stein in der Tasche, sondern ich gehe mit der Kerze in der Hand.“ Selbstverständlich war die Rolle der Christen keinesfalls: Seit 1953, als die Staats- und Parteiführung in der DDR die „Jugendweihe“ einführte, war ein Prozess der Entchristianisierung in Gang gekommen: „Die Kirchen haben Jugend und Kinder verloren, aber mit ihnen auch die Eltern. Nach der Atheismuspropaganda konnten in den 70er Jahren viele jüngere Menschen nicht mehr sagen, was auf einem Kreuzigungsbild dargestellt ist“, schildert Maser. Ab Mitte der 80er Jahre traten die Kirchen trotz ihrer Kleinheit wieder ins öffentliche Bewusstsein: als Schutzdach der Bürgerrechtsbewegung. „Das hatte auch praktische Gründe“, sagt der evangelische Historiker Maser: „Die Kirchen waren die einzige Großorganisationen, die so etwas wie Opposition stützen und moderieren konnten.“ Das hatte auch damit zu tun, dass die Kirchen Kopiergeräte und Telefone hatten.
Offene Kirchentüren
Das Angebot der offenen Kirchentüren für Versammlungen wurde angenommen. „Die Pfarrerinnen und Pfarrer standen in vielen Fällen an der Spitze der Bewegung – auch konkret, wenn sie im Talar als erste aus der Kirche zur Demonstration gingen und draußen die Polizei stand“, sagt Maser. Bei den Andachten zuvor hätten viele Menschen die kirchlichen Gewohnheiten in Kauf genommen: „Beim Gebet erhob man sich und sang Choräle mit.“ Kein Wunder, dass es in den Kirchen nach der Wende große Erwartungen gab nach dem Motto: Die Bevölkerung würde sich jetzt wieder neu für Religion interessieren. „Doch in dem Moment, wo die Ziele der friedlichen Revolution erreicht waren, brauchte man die Kirchen nicht mehr. Nach dem Mauerfall am 9. November wandten sich die Menschen, die auf die Straße gegangen waren, rasch den neuen Möglichkeiten zu. Kirchliche Mitarbeiter, die in den Wochen zuvor rund um die Uhr Dienst gemacht hatten, waren mit ihrer Kraft am Ende“, schildert der Historiker.
Von Zehntausenden zu zehn
„Ich besuchte Ende 1989 den Gottesdienst eines Schülers von mir, der vor dem Mauerfall vor Zehntausenden gesprochen hatte. Beim Silvestergottesdienst waren wir zehn Personen“, sagt Maser. Die evangelischen Kirchen hatten eine wichtige Rolle bei der friedlichen Revolution gespielt. „Aber von ihren Inhalten her war es keine protestantische Revolution“, sagt Historiker Peter Maser.
Zur Sache
„Zu zaghaft“
Unter den DDR-Bürgern, die 1989 demonstrierten, waren evangelische und katholische Christen. Bekannt ist zum Beispiel das mutige Eintreten des katholischen Kaplans Frank Richter in Dresden, dem es mit der „Gruppe der 20“ gelang, in einem Dialog Konfrontationen mit der Staatsmacht zu vermeiden. Doch anders als in der evangelischen Kirche hielt sich die katholische Kirchenleitung bei der Wende 1989 politisch zurück. Das lag nicht nur daran, dass die Katholiken eine kleine Minderheit in der DDR waren.
„Der Einfluss der katholischen Kirche auf die Erneuerungsbewegungen in der DDR blieb wegen ihrer selbstverordneten politischen Abstinenz gering“, analysiert Kirchenhistoriker Peter Maser. Georg Sterzinsky, der im Wendejahr Bischof von Berlin geworden war, bereute später seine „zu große Zaghaftigkeit“: Die katholischen Bischöfe hätten den richtigen Zeitpunkt verpasst, sich klar auf die Seite der Opposition zu stellen, sagte er. Freilich: Manche Wege der evangelischen Kirche nicht mitgegangen zu sein, hielt Sterzinsky weiter für richtig. Tatsächlich stand die evangelische Kirchenleitung später bei der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands sehr auf der Bremse – ganz im Gegensatz zu den eigenen Kirchenmitgliedern. Eines haben beide Kirchen heute in den Ex-DDR-Gebieten gemeinsam: Christsein sei für Ostdeutsche nach der Wende nicht unbedingt leichter geworden, sagt kürzlich der katholische Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt.