Jugendforscher Matthias Rohrer über die Minimax-Generation, den Vormarsch des Erfolgsdenkens bei Jugendlichen und warum das lange Wohnen im Hotel Mama so bequem ist.
Ausgabe: 2014/29, Rohrer, Erziehung, Jugendliche
15.07.2014 - Interview: Paul Stütz
Allgemein ist es beliebt, der jungen Generation einen Stempel aufzudrücken. Fällt Ihnen ein Label zu den aktuell Jugendlichen ein oder ist das sowieso zu verallgemeinernd? Matthias Rohrer: Es ist eine Altersgruppe mit verschiedensten Ausprägungen. Bis zu einem gewissen Grad treffen die Verallgemeinerungen aber zu. Ich spreche immer von der Minimax-Generation, die einen unglaublichen Pragmatismus an den Tag legt. Minimaler Input soll maximalen Output ergeben. Das ist ein sehr ökonomischer Zugang zum Leben.
Ist demnach das Leistungsdenken im Vormarsch? Rohrer: Ich würde es eher Erfolgsdenken statt Leistungsdenken nennen. Das heißt, es zählt der Erfolg, dessen Basis nicht Leistung sein muss. Gerade für Jugendliche wird es deshalb immer wichtiger, sich besonders gut zu verkaufen.
Die Fähigkeit der Präsentation ist gefragt? Rohrer: Ja, die soziale Kompetenz wird insgesamt immer wichtiger. Ob man sich gut verkaufen kann, ist sehr stark eine Frage der Bildung. Diese Entwicklung führt zu einer größeren Ungleichheit. Für Jugendliche aus niedrigen sozialen Schichten wird es noch schwieriger, sich erfolgreich ins gesellschaftliche Leben zu integrieren.
Für Berufseinsteiger wird es immer härter, einen guten Job zu bekommen. Welche Auswirkungen hat das? Rohrer: Das Vertrauen in die staatlichen Institutionen sinkt stark. Die Jugendlichen trauen diesen nicht mehr zu, ihre Probleme zu lösen.
Betrifft das Misstrauen auch die Religion? Rohrer: Wir leben in einer Gesellschaft, die stark auf Einzelne zentriert ist. Da passen Institutionen wie die Kirche, die das Wir in den Mittelpunkt stellen, oft nicht ins Selbstverständnis.
Ein Pauschalvorwurf lautet, dass Jugendliche heute zu angepasst sind. Trifft das zu? Rohrer: In gewisser Weise ja. Die Frage ist, ob das schlimm ist. Sie verstehen es gut, sich an die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Es werden den Jugendlichen aber auch nicht die Freiräume gegeben, besonders kritisch zu sein. Den Vorwurf müsste man also eher der älteren Generation machen, die diese Freiräume schaffen müsste.
Nimmt die Realitätsflucht in Zeiten der Krise zu? Den steigenden Leistungsdruck kompensieren Jugendliche stark im Freizeitbereich. Da werden gezielt Angebote gesucht, die ein Ausklinken aus dem überfordernden Alltag ermöglichen. Meistens beschränkt sich die Realitätsflucht aber aufs Wochenende.
Wird das Sicherheitsdenken wichtiger? Ja, in allen Lebensbereichen. Das ist in der Sozialforschung ein klares Zeichen, wenn das Bedürfnis nach Sicherheit steigt, dass diese Bedingungen nicht mehr gegeben sind. Es ist zum Beispiel heute ganz schwierig geworden ein Kind in die Welt zu setzen, wenn man nicht gut verdient.
Bei der aktuellen Oö. Jugendstudie gibt die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen an, positiv in die Zukunft zu blicken. Sind Jugendliche dann eher doch optimistisch, auch in Zeiten der Wirtschaftskrise? Rohrer: Das muss man etwas differenzieren. Was die persönliche Zukunft betrifft, stimmt es. Da sagen viele: „Es wird eh passen“. Die gesellschaftliche Zukunft wird aber eher pessimistisch gesehen. Ich würde von einer zweckoptimistischen Generation sprechen. Mit der Haltung, dass man es schon irgendwie schaffen wird. Ein Schreckensszenario ist, wenn man gewisse Entwicklungen nicht stoppen kann und dann auch die persönliche Zukunft von den Jugendlichen überwiegend pessimistisch gesehen wird.
Wie sehr ist in Österreich die Motivation beruflich mobil zu sein im Steigen? Das ist sehr vom Hintergrund der Jugendlichen anhängig. In höher gebildeten Schichten ist die freiwillige Mobilität im Steigen. Den weniger Gebildeten fehlen die Möglichkeiten.
Hotel Mama hat Hochkonjunktur, die Jungen leben länger bei den Eltern. Wird der Trend anhalten? Rohrer: Ja, der Jobeinstieg passiert immer später. Eine wesentliche Entwicklung ist, dass die Reibungsflächen zwischen den Generationen weniger werden. Lange bei den Eltern zu wohnen ist somit für die Jugendlichen nicht mehr unangenehm.
Zur Mediennutzung der jungen Generation: Welchen starken Trends gibt es den letzten Jahren? Facebook ist nach wie vor die Plattform Nr. 1 bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Wir haben bei den 14- bis 18-jährigen eine Deckung von 95 Prozent. Das Internet ist allgemein das Medium Nr. 1 bei den Jungen.
Jeder Trend hat einen Gegentrend. Steigt die Gruppe der Facebook-Verweigerer? Noch ist es marginal. Dennoch: Die 13- und 14-jährigen legen sich nicht mehr unbedingt ein Facebook-Profil an. Da sagen manche: das ist Oldbook und nicht Facebook, weil dort trifft man Mama, Papa, Lehrer. Facebook ist im Mainstream angekommen. Jugendliche suchen dann auch wieder Alternativen. Das reizvolle am Internet und bei Facebook war ja lange, dass es ein freier Raum ohne Kontrolle der Eltern war. Heute ist das längst anders.