Wie soll die katholische Kirche auf die Kirchenaustritte reagieren? Sporadische Kontakte rund um Taufen, Erstkommunionen und Hochzeiten besser nutzen ist ein wichtiger Ansatzpunkt, findet die Pastoraltheologin Hildegard Wustmans.
Ausgabe: 03/2017
17.01.2017 - Paul Stütz
Auch wenn die Kirchenaustritte 2016 leicht rückläufig waren: Der Mitgliederschwund der katholischen Kirche in Oberösterreich bleibt auf hohem Niveau. Deutlich wird das, wenn man das letzte Jahrzehnt betrachtet: Das Minus beträgt in diesem Zeitraum rund acht Prozent bei der Zahl der Katholiken in der Diözese Linz (2006: 1,051 Mio. Katholiken, 2016: 0,965 Mio. Katholiken). „Man darf nicht glauben, es ist dieses Jahr eh nicht so schlimm, weil die Austritte zurückgegangen sind. Jeder Mensch, der die katholische Kirche verlässt, ist ein Alarmzeichen“, kommentiert Hildegard Wustmans, Pastoraltheologin an der KU Linz, die aktuelle Kirchenstatistik. Von einem Gesundschrumpfen der katholischen Kirche könne nie und nimmer die Rede sein. „Das Reich Gottes will wachsen. Das zeigt u.a. das biblische Gleichnis vom Senfkorn, aus dem ein großes Gewächs wird, in dem Vögel nisten werden.“
Besseres Beziehungsmanagement
Was tun aber, um den Abwärtstrend zu stoppen? „Wir müssen kreativ werden und an anderen Orten auf die Leute zugehen“, meint Wustmans. Christ/innen, die sich zum Beispiel im Rahmen des Projektes „Erzähl mir was, ich höre dir zu“ mitten in der Stadt auf der Straße zum Gespräch zur Verfügung stellen, zählt sie als gelungenes Beispiel aus Linz. Die Statistik ist für sie Ansporn, neue Wege in der Seelsorge zu beschreiten. „Es braucht dafür Experimentierfreude und Fehlerfreundlichkeit. Nicht alles, was probiert wird, wird funktionieren.“ Kirchenaustritte seien Ausdruck davon, dass die „Leute damit nicht zufrieden sind, wie ihnen Kirche begegnet“, sagt die Pastoraltheologin. Wustmans wünscht sich generell besseres „Beziehungsmanagement“ der katholischen Kirche.
Missionarische „Super-Chance“
Kirchlichen Ritualen und Sakramenten komme eine Schlüsselrolle zu. In diese Formen solle verstärkt investiert werden, etwa indem „exzellente Hochzeiten“ angeboten werden. „Die katholische Kirche muss damit leben lernen, dass die Leute zu den Anlässen wie Taufen, Begräbnissen und Hochzeiten kommen und dann wieder weg sind.“ Diese sporadischen Kontakte gut zu nutzen sei eine missionarische „Super-Chance“. Begegnungen mit Leuten, die man sonst in der Kirche nicht sieht, sollen von „glaubwürdigen“ Seelsorger/innen „ernsthaft“ gestaltet werden. Gute Liturgie und ansprechende Predigten brauche es u.a. dazu: „Nicht von Trost sprechen, sondern trösten“, nennt Wustmans als Beispiel. Gerade an den konstant hohen Zahlen bei Taufe und Erstkommunion in der Kirchenstatistik könne man ablesen, dass „die Menschen etwas von der Kirche wollen und brauchen. Der Glaube ist ja da.“
Wustmans Überlegungen gehen einen Schritt weiter. Sie glaubt, dass Kinder grundsätzlich vorbehaltlos getauft werden könnten. Also auch wenn die Eltern aus der Kirche ausgetreten sind. „Es gibt die Gemeinschaft der Christen, die für diese Kinder im Glauben Vorbild sein kann.“ Christinnen und Christen, die im Glauben eine wertvolle Ressource haben, sind gefordert, diese Erfahrung weiterzugeben. „Die Frage ist, wie die Leute merken, was Christsein ausmachen kann?“ Wustmans Antwort: „Vielleicht daran, dass ich entspannter bin, weil ich in Gottes Hände falle oder weil ich Möglichkeiten habe, mit Schicksalsschlägen anders umzugehen.“ «
Kirchen-Statistik
9236 Oberösterreicher/innen sind 2016 aus der katholischen Kirche ausgetreten. 904 sind voriges Jahr wieder oder neu in die katholische Kirche eingetreten. Die Zahl der Taufen ist dafür auch über einen längeren Zeitraum stabil. Sie lag in Oberösterreich zuletzt bei 10.033.