Das Wirken des „Armenpfarrers“ Wolfgang Pucher (76) zieht weite Kreise. Bis zu 450 Menschen finden täglich Unterkunft in den VinziWerken und rund 1300 Personen werden jeden Tag mit Essen versorgt. Im Interview erzählt Pfarrer Pucher über seine Absichten in Linz und was er über die Flüchtlings-Zeltstädte denkt.
Herr Pfarrer, woher kommt der Antrieb für Ihr Wirken? Wolfgang Pucher: Ich komme selber aus einer sehr armen Vergangenheit: Meine Mutter war Witwe mit drei Kindern und wir haben nach dem Krieg wirklich nur das Allernotwendigste gehabt, wir hatten weder Strom, Wasser noch WC. Wir haben zwar nie gehungert, aber wir haben gefroren, weil wir nie genug zum Heizen hatten. Da habe ich erlebt, dass meine Mutter – trotz der eigenen Armut – nie jemanden abgewiesen hat, der um Hilfe gebeten hat. Wie ist es zur Gründung der VinziWerke gekommen? Pucher: In Graz-St. Vinzenz gab es damals in der Heßgasse eine Delogiertensiedlung mit 800 Menschen. All das, was man in einem Slum findet, gab es auch dort: Arbeitslosigkeit, Prostitution, Kindesmissbrauch usw. Ich habe völlig verzweifelt versucht, das Los der Menschen zu verbessern. Früher hat es für 30 Wohneinheiten kein einziges Badezimmer gegeben. Aus dieser Erfahrung heraus sind mir in Graz Notfälle bewusst geworden, wo niemand hingeschaut hat. Das sind vor allem die Obdachlosen, die schwer alkoholkrank sind und unter Brücken, in Abbruchhäusern oder auf Parkbänken schlafen. Deshalb habe ich 1990 die Jugend-Vinzenzgemeinschaft gegründet. Gemeinsam haben wir den VinziBus zur Versorgung der Obdachlosen mit belegten Broten und Tee ins Leben gerufen, der bis heute aktiv ist. Damit war der große Bogen gespannt für das, was wir heute machen.
Als Lebensziel haben Sie sich gesteckt, nach Graz auch ganz Österreich frei von Obdachlosen zu machen. Wie wollen Sie das anstellen? Pucher: Wir haben in Salzburg mit „Housing First“ ein neues Modell begonnen: Menschen müssen nicht den Umweg über Notschlafstellen nehmen, sondern ziehen von der Straße weg in eine Mietwohnung, wo sie unter Betreuung selbstständig leben. Damit haben wir bereits über 20 Dauerobdachlose wohnversorgt. Innerhalb der nächsten Jahre möchten wir Salzburg obdachlosenfrei machen und dann eine nächste Stadt in Angriff nehmen. Meine Absicht ist es, das in Linz zu tun und es dort ähnlich zu machen. Vielleicht kommen dann noch andere auf die Idee, es uns nachzutun.
Wie konkret ist Ihr Engagement in Linz? Pucher: Es gibt sehr viele Kontakte nach Oberösterreich und bereits einen Bus, der die Betreuung von kranken Obdachlosen übernimmt. Dahinter stehen die Barmherzigen Schwestern und der Samariterbund. Die Stadt Linz bestreitet mir gegenüber, dass es Menschen gibt, die nichts haben. Das ist überall gleich und war in Graz früher auch so. Aber wir werden nicht Ruhe geben und wollen das Salzburger Modell „Housing First“ selbst in Linz umsetzen. Das ist allemal besser als eine neue Container-Siedlung. Sie haben 1992 eine Zeltstadt für Kriegsflüchtlinge aus dem zerfallenen Jugoslawien errichtet. Derzeit werden in Linz und anderen Orten wieder Zeltstädte aufgestellt. Wie denken Sie darüber? Pucher: Da ist nur das Wort „Zeltstadt“ gleich, die Situation ist eine völlig andere. Heute gäbe es genügend Ressourcen und Bereitschaft in der Gesellschaft, auf Zelte verzichten zu können. Damals hat es niemanden gegeben, der diese 100 bosnischen Deserteure, die am Bahnhof gelebt haben, betreut hätte – es hat sich jeder geweigert. Sie hatten kein Quartier, nichts zu essen und keine Papiere.
Sie haben sich während des steirischen Bettelverbots selbst einige Male auf die Straße gesetzt und demonstrativ für Bettler gebettelt und vor Gericht geklagt, bis es aufgehoben wurde. Was halten Sie vom Verbot des gewerbsmäßigen Bettelns in Linz? Pucher: Mir ist bis heute keine Definition für „gewerbsmäßiges Betteln“ bekannt. Wenn das Handeln nach einem so schwammigen Begriff strafbar macht, dann ist polizeilicher Willkür Tür und Tor geöffnet. Aus diesem Grund ist so eine Verordnung strikt abzulehnen.