P. Bernhard Eckerstorfer - Benediktiner des Stiftes Kremsmünster - ist seit 2019 Rektor der Benediktinerhochschule Sant'Anselmo in Rom. Er nimmt uns in der Serie „Rom entdecken.“ mit auf seine Streifzüge durch die Ewige Stadt.
„Neben dem Schlüsselloch“, gebe ich häufig zur Antwort, wenn mich jemand in Rom fragt, wo ich denn zu Hause sei. Selbst die Taxifahrer nicken wissend und finden beinahe blind und ohne Navi dorthin. Es ist fast zu einem geflügelten Wort geworden, für Einheimische und Bewunderer der Ewigen Stadt gleichermaßen: das Schlüsselloch der Villa des Malteserordens, wo bereits vor 1000 Jahren eine Benediktinerabtei der Reformbewegung von Cluny stand. Der charmante Platz, der auch Teil meiner Adresse ist, hat den Namen „Piazza Cavalieri di Malta“. Er wurde 1764–1766 von Giovanni Battista Piranese gestaltet, als es das heutige weltweite Zentrum der Benediktiner, das Kloster Sant‘ Anselmo, auf dem Aventin noch nicht gab. Die Obelisken, heraldischen Symbole und Waffendekorationen des originellen Platzes heben sich vor dem Hintergrund unseres Anwesens aus dem Ende des 19. Jahrhunderts mit seinen immergrünen Zypressen ab.
Doch die meisten Menschen, die den Platz betreten, kommen nicht, um dieses beindruckende Ensemble zu sehen oder uns in Sant’Anselmo zu besuchen. Zielstrebig steuern sie auf das Schlüsselloch der Malteser-Villa zu. Es ist auch leicht zu finden und zieht selbst jene an, die arglos vorübergehen, denn es bildet sich davor meist eine lange Schlange. Als Nachbarn kommt uns 90 Mönchen aus 40 verschiedenen Nationen dieses Phänomen etwas merkwürdig vor. Wir verstehen die Schaulustigen nicht, gäbe es doch drei Gehminuten weiter die wirklich bedeutende antike Kirche Santa Sabina, vor der sich keine Schlange bildet. Aber vielleicht können wir der Attraktion auf dem Aventin eine tiefere Bedeutung entlocken.
Die Menschen wollen ja nicht das Schlüsselloch sehen. Dieses dient ihnen nur als Medium, um eine Überraschung zu entdecken: Eingerahmt von einer Allee sehen die gebückten Betrachtenden mit zusammengekniffenen Augen weit in der Ferne die berühmte Kuppel Michelangelos. Der Petersdom steht wie keine andere Kirche für den ganzen katholischen Erdkreis und ist eines der bekanntesten Gebäude der Welt. In dieser Perspektive ist er auf kleinstem Raum entrückt und doch im Zentrum. Hier erscheint eine andere Mächtigkeit, die uns heute viel zu sagen hat. Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk meinte einmal, wir hätten ein Problem mit Gott, weil er uns nicht mehr imponiere. Den Petersdom durch das Schlüsselloch zu sehen, – das imponiert. Vor der Villa der Malteser finden sich Menschen ein, die oftmals wenig mit der Kirche zu tun haben. Aber das zu Erblickende zieht sie magisch an, hat die Aura des Mystischen, besonders nachts, wenn die schwarze Allee den Blick auf die erleuchtete Peterskuppel umso faszinierender macht.
Von Gott her erscheint die Menschenschlange vor dem Schlüsselloch in einem neuen Licht. Er sucht auch sie, die Einheimischen und Touristen: Menschen, die römische Kirchen eher zu familiären Anlässen oder Besichtigungen aufsuchen. Das Schlüsselloch eröffnet den Blick in die Seitengasse einer Religiosität, wie wir sie oft in Rom erleben: verstohlen, distanziert, anonym. Und doch zeigen gerade diese Menschen, die scheinbar ohne direkten Kontakt zur Kirche leben, ein Gespür dafür, worauf hin sie unterwegs sind.
Auf ihrem Weg zum Schlüsselloch sehen die Neugierigen häufig junge Ordensleute, die bei uns studieren. Vielleicht bringen sie so manchen sinnsuchenden Touristen unserer Tage zum Nachdenken. Und vielleicht sollten auch wir öfter durch das Schlüsselloch schauen und die Kirche so neu wahrnehmen.
mit P. Bernhard Eckerstorfer OSB
Teil 1 von 5
P. Bernhard Eckersorfer ist Benediktiner von Kremsmünster und lebt seit 2020 als Rektor der Benediktinerhochschule Sant’Anselmo in Rom.
P. Bernhard Eckerstorfer - Benediktiner des Stiftes Kremsmünster - ist seit 2019 Rektor der Benediktinerhochschule Sant'Anselmo in Rom. Er nimmt uns in der Serie „Rom entdecken.“ mit auf seine Streifzüge durch die Ewige Stadt.