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Die Welt gegenüber. Die Menschen, von denen die in Bregenz lebende Autorin in diesen Erzählungen – wie auch in ihren früheren Büchern – erzählt, sind Menschen, wie sie uns im Alltag begegnen. Es sind keine Helden, auch keine Antihelden, sie erinnern alle irgendwie an die Protagonistin in Haushofers „Die Wand“. Gemeinsam ist den handelnden Personen in den zwölf Geschichten die Einsamkeit, die Schwierigkeit, menschlich befriedigende Beziehungen zu leben. Die erste, nur sieben Seiten kurze Erzählung, „Die Nacht“, die fast ganz ohne Handlung auskommt, lässt sich als Einführung in die folgenden Erzählungen lesen. Eine Erzählerin schaut aus dem Fenster ihres Hotelzimmers in eine Wohnung im gegenüberliegenden Haus. Sie sieht nur die Schatten von dort anwesenden Personen und imaginiert eine Beziehungsgeschichte, über der sich eine traurige Atmosphäre ausbreitet. „Es waren keineswegs Vorstellungen von Glück, so sehr ich mir dieses auch herbeizudenken versuchte, sondern solche von Einsamkeit, von gegenseitigem Ungenügen, von Kummer.“ Doch sicher ist gar nichts. Es kann auch ganz anders sein. Es liegt also an den Leser/innen, der Geschichte durch die eigenen Assoziationen möglicherweise eine Wendung zu geben. Dieses Motiv zieht sich durch alle Texte. Ob es um den alternden Schauspieler geht, der sich zum Sterben bei einer älteren Dame einmietet, oder um das fremde Kind: Immer gelingt es der Autorin, mit wenigen klaren Worten Stimmungen zu erzeugen, die die Leserin in den Text geradezu hineinziehen und Räume für das eigene Erleben öffnen. Wunderbar.
Eva Schmidt: Die Welt gegenüber. Erzählungen. Salzburg und Wien: Jung und Jung 2021, 214 S., € 22,–, ISBN 9783990272503
Gedankenspiele über den Kompromiss. Wer die politische Diskussion nur ein wenig verfolgt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, der Kompromiss als Königsdisziplin politischen Handelns sei ein Auslaufmodell. Geradezu reflexartig scheint die eine Partei ihre Ablehnung in die Öffentlichkeit hinauszuposaunen, kaum dass die andere einen Lösungsvorschlag für welches Problem auch immer präsentiert – als dürfe es nur mehr Schwarz oder Weiß geben. In seiner neuen Reihe „Gedankenspiele“ lädt der Grazer Droschl-Verlag Autorinnen und Autoren ein, sich gedanklich einem konkreten Wort zu nähern. Die in Wien geborene Schriftstellerin Eva Menasse widmet sich dem Kompromiss und nähert sich dem großen Thema mit persönlichen Erinnerungen aus ihrem familiären Alltag. Mit dem israelischen Philosophen und politischen Theoretiker Avishai Margalit unterscheidet sie zwischen dem „blutleeren“ Kompromiss, der eher einem (Kuh)-Handel gleicht, und echten Kompromissen, „die langsam und unter Schmerzen geboren werden und die aus einer Zusammenarbeit erwachsen, gegen die sich zunächst einmal alles sträubt“. Eva Menasse konzentriert ihr Nachdenken auf aktuelle Themen wie die Flüchtlingsfrage, die Corona- und Klimakrise und fragt nach den Voraussetzungen für Kompromissfähigkeit. Dazu gehört die Fähigkeit, zuzuhören und andere Ansichten und Überzeugungen gelten zu lassen. Margalit: „Ideale mögen uns etwas Wichtiges darüber verraten, wer wir gerne wären. Aber Kompromisse sagen uns, wer wir sind.“ Eva Menasse kommt zu dem Schluss: „Das Zeitalter, in dem unsere Kompromissfähigkeit geprüft wird (...), ist gerade erst angebrochen.“ Ein sehr lesenswerter Anstoß zum Nach- und Weiterdenken.
Eva Menasse: Gedankenspiele über den Kompromiss. Graz–Wien: Literaturverlag Droschl 2020, 45 S., € 10,–, ISBN 9783990590669
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