Du bist erst 18 Jahre alt und schon seit Jahren Klimaschutzaktivist. Wie waren die Anfänge deines Engagements?
Thomas Öllinger: Bei den Schulstreiks war ich von Anfang an dabei. Wir sind als Gruppe von der Schule aus hingefahren, ich habe mir ein Schild gebastelt: ‚Ich streike für meine Enkelkinder und bin noch nicht einmal 14.‘ Heute denke ich, dass es noch schlimmer ist. Die Folgen der Klimakatastrophe werden mich auch schon voll treffen, nicht nur meine Kinder und Enkelkinder.
Wieso waren die Klimademos nicht genug Protest für dich?
Öllinger: Weil ich mir schon mehr erwartet hätte als Reaktion auf unsere Demos, wenn so viele junge Leute mit einem berechtigten Anliegen auf die Straße gehen. Aber was hat sich schon getan? Das Klimaticket, könnte man vielleicht sagen, das ist eine coole Sache, aber wie viel das fürs Klima bringt, ist eine andere Frage. Und das bisschen CO2-Steuer die kommen wird, ist klar zu wenig, das sagen auch die meisten Experten. Das war einfach der Grund, wieso ich mich der Letzten Generation angeschlossen habe.
Aber wieso muss man tatsächlich radikale Maßnahmen für den Klimaschutz setzen und so viele Menschen verärgern?
Öllinger: Wir haben keine Wahl. Ich habe selbst gemerkt, wie ich in den letzten Jahren die Klimakrise zeitweise verdrängt habe. Aber die Fakten sind klar: Immer mehr Leute werden in Zukunft aus ihrer Heimat flüchten müssen, weil sie durch die Erderwärmung unbewohnbar sein wird.
Das sind Milliarden Klimaflüchtlinge, wenn die losziehen, das will ich mir nicht ausmalen. Das wird zu Kriegen und Leid führen. Also wenn man an diese Probleme denkt, ist das bisschen Kleben und Straße blockieren nix dagegen. Das ist nur der Feueralarm. Wenn es brennt, bringt es nix, den Feueralarm auszuschalten. Man muss den Brand löschen. Und der Alarm ist halt unangenehm.
Du hast dich bereits drei Mal mit der Letzten Generation auf die Straße geklebt. Wie waren diese Situationen für dich?
Öllinger: Insgesamt ist das schon eine sehr stressige Situation. Man weiß nicht, was machen die Autofahrer oder Passanten, wie sind die gerade drauf, wird es zu Übergriffen auf uns kommen? Es ist eine Erleichterung, wenn die Polizei eintrifft, weil dann alle ruhiger werden. Es fühlt sich nicht gut an, wenn man da Menschen stört, die nur ihrem Alltag nachgehen wollen.
Teilweise kommen arge Sachen. Verbal kommt alles Mögliche, physisch bin ich noch nicht attackiert worden, meine Kollegen aber schon. Auf einen Kollegen hat sich ein Lkw-Fahrer draufgesetzt, das war dann eh in allen Medien. Wir haben auf jeden Fall immer Leute mit, die bei den Klebeaktionen mitfilmen, damit eine Eskalation vermieden wird oder wir schlimme Übergriffe auch anzeigen könnten.
Wenn sich die Leute beschweren, wie reagierst du darauf?
Öllinger: Es kommt drauf an, wir sagen meistens, dass uns das leidtut, wir aber keine andere Wahl haben. Wenn uns wer nur beleidigt, diskutieren wir auf jeden Fall nicht, denn das bringt nichts.
Wie schaffst du es, in einer solchen Situation ruhig zu bleiben?
Öllinger: Es gibt Protesttrainings der Letzten Generation, die man machen sollte, bevor man sich auf die Straße klebt. Da spielen wir alles durch, eine Gruppe spielt wütende Autofahrer, wir üben gewaltfreies Verhalten. Innerlich werde ich schon ärgerlich, aber ehrlich gesagt bin ich die Aggressionen schon gewöhnt. Es ist sicher eine wertvolle Fähigkeit, wenn einem mit der Zeit eine dickere Haut wächst.
Die Klimaaktivist:innen werden häufig kritisch beäugt, wie ihr eigenes Verhalten im Einklang mit dem Klimaschutz steht. Wie gehst du damit um? Lebst du das perfekte klimafreundliche Leben?
Öllinger: Ich achte sehr drauf und fahr zum Beispiel fast überall mit dem Zug oder Radl hin. Bei unserer Maturareise fahren wir mit den Autos nach Kroatien, öffentlich geht leider nicht. Mit dem Flugzeug fliegen, das vermeide ich sowieso. Aber das ist meine persönliche Sache. Die Menschen, die auf Urlaub fliegen oder ein größeres Auto fahren, sollen genauso für das Klima demonstrieren oder sich auf die Straße picken.
Mir ist generell lieber, man engagiert sich politisch und ist selbst nicht perfekt, als man sitzt in einer Hütte im Wald und lebt praktisch sein perfektes klimafreundliches Leben, zeigt dafür aber kein Engagement.
Das Ankleben auf der Straße ist riskant. Was sagen deine Eltern zu diesem Engagement?
Öllinger: Sie sagen: Musst du schon wieder kleben gehen? Sie finden es zwar eh super, aber machen sich Sorgen. Das Interessante ist, dass die Freundesrunde meines Vaters durch meine Klebeaktionen über die Klimakrise diskutiert. Das zeigt, dass unsere Aktionen sinnvoll sind, weil das Klima damit Gesprächsthema bleibt.
Was sagst du zur Kritik, dass es durch die Klebeaktionen zu Verzögerungen bei den Rettungsfahrten gekommen ist?
Öllinger: Da gehen immer wieder Falschinfos durch die Medien. Vor Kurzem in Wien war das so. Da ist rausgekommen, dass der Patient nicht aufgrund der Blockade gestorben ist. Er war schon tot, wie der Protest losgegangen ist. Wir haben bei unseren Aktionen immer eine Person, die die Rettungsgasse organisiert und Einsatzfahrzeuge durchlässt. Zehn Minuten, bevor wir uns auf die Straße kleben, sagen wir den Einsatzkräften außerdem Bescheid.
Du hast soeben die Matura gemacht, hat die nicht unter den Klebeaktionen gelitten?
Öllinger: Ich habe das gut vereinbaren können, aber auch wenn das nicht so wäre, muss ich mir eigentlich die Frage stellen: Was bringt mir die Matura, wenn durch die Klimakatastrophe alles zusammenbricht?
Wie lange wirst du dich noch auf die Straße kleben?
Öllinger: Auf jeden Fall müssen unsere konkreten Forderungen wie Tempo 100 auf den Autobahnen und keine neuen Gasbohrungen erfüllt werden. Ich würde aber erst aufhören, wenn ich das Gefühl habe, dass es wirklich einen anderen Kurs in der Politik gibt, wenn es endlich das Klimaschutzgesetz im Verfassungsrang gibt. Ich sehe aber momentan leider kein Ende.
ZUR SACHE_
Als „Chaoten“, „Klimaterroristen“ oder Kriminelle werden die Klimakleber:innen von ihrer schärfsten Kritiker:innen genannt. Vor allem die Straßenblockaden, bei denen sich Mitglieder der Gruppe auf Straßen festklebten, sorgten für viel Kritik und Unverständnis. Die Letzte Generation hat es geschafft, mit ihrem Protest fast ständig in den Medien präsent zu sein.
Ein Vorbild ist die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die durch Mittel des zivilen Ungehorsams die Regierung zu Veränderungen zwang. Die Bezeichnung der Gruppe wird mit einem Tweet von Barack Obama im Jahr 2014 in Verbindung gebracht: „Wir sind die erste Generation, die den Effekt des Klimawandels zu spüren bekommt, und die letzte Generation, die etwas dagegen machen kann.“
Zentrale Forderung der Letzten Generation ist ein Tempolimit von 100 km/h auf den Autobahnen und der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern.
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