Ordensschwester Mirjam Dinkelbach lebt seit Jahren mit einer seltenen Nebennieren-Erkrankung. Ein Gespräch über ihre außer Rand und Band geratene Welt und die notwendige Kontrolle von Angst und Ungeduld.
24.09.2013 - Interview: Walter Fikisz/Matthäus Fellinger
In der Eisenstädter Kirchenzeitung „martinus“ hat Ordensschwester Mirjam Dinkelbach aus der Abtei Marienkron im Burgenland 2012 offen über ihre Krankheit erzählt. Im Hinblick auf den „5. Österreichischen Patiententag für Menschen mit Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen“ am 5. Oktober in Linz bringen wir das aktualisierte Interview.
Sr. Mirjam, Sie leiden an einer seltenen Hypophysen-Erkrankung. Wie merkten Sie, dass etwas nicht stimmt? Sr. Mirjam Dinkelbach: Durch eine im Laufe der Jahre immer größer werdende Erschöpfung. Es erging mir, wie es Doris Gruber in ihrem sehr intensiven Buch „Diagnose Morbus Cushing. Überleben, um zu leben“ beschreibt: Es „ist eine eigenwillige Krankheit. Sie hatte sich in mein Leben geschlichen. Langsam, leise, aber spürbar. Sie hatte ihre schillernden Facetten ausgebreitet, über deren Originalität ich auch heute nur selten lachen kann. Sie hat mein Leben zunächst nur gefärbt, dann vergiftet und es schließlich vollkommen beherrscht. Der einzige Weg, der mir geblieben war, die Symptome nicht zu verschlimmern, bestand darin, zu liegen und meinen Bewegungsapparat wie auch meinen Geist völlig auszuschalten. Ich war zum Reptil geworden.“ Es ist bei mir eine andere Variante der Erkrankung, aber das Befinden stimmt weitgehend überein. Es gibt auch Auswirkungen auf die Motorik, wodurch meine Liebe zur Musik schon früh einen Dämpfer bekam. Aber da habe ich einen Ausweg gefunden: Lehrer und Prüfungen wurden mir egal und das Musizieren zur meditativen Übung, die mir bis heute ein Fels in der Brandung der außer Rand und Band geratenen Hormonwelt ist. Im Februar 2012 erschien in der Eisenstädter Kirchenzeitung ein Interview mit Ihnen. Was hat Sie bewogen, sich auch in Oberösterreich an die Öffentlichkeit zu wenden? Sr. Mirjam: Der Beitrag vom Vorjahr stöbert immer noch Betroffene auf, die auf der Suche sind oder keinen Ansprechpartner haben. Mit dieser Breiten- und Langzeit-Wirkung habe ich nicht gerechnet. Schließlich erschien das Interview nicht in einer medizinischen Fachzeitschrift, sondern in der Kirchenzeitung. Es ist der richtige Weg, miteinander ins Gespräch zu kommen. Tabuisieren hilft niemandem. Nicht denen, die sich eigenständig Kenntnisse aneignen müssen, damit ihre Erkrankung richtig diagnostiziert wird. Auch nicht denen, die wegen der noch immer geringen Versorgungslage bei hormonellen Erkrankungen weite Anfahrtswege auf sich nehmen müssen, die sie aber aufgrund ihres Befindens nicht auf sich nehmen können. Es ist für mich ein selbstverständlicher Dienst, denen eine Stimme zu geben, die nicht diese Möglichkeit haben, eine seltene Erkrankung ins Blickfeld zu bringen.
Sie engagieren sich nun im Netzwerk für Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen. Warum? Sr. Mirjam: Es begann mit einer Grundentscheidung. Ich habe keine Lust, ein Doppelleben zu führen. Wenn ich schon krank bin, möchte ich etwas Sinnvolles daraus machen. Wenn jemand ein Gipsbein hat, wird er nicht zum Tanzen aufgefordert. Da man unsereiner die Erkrankung nicht ansieht, habe ich gelernt, meine Bedürfnisse zu formulieren. Da meine Worte mit meinem Erscheinungsbild nicht übereinstimmen, habe ich einsehen gelernt, dass ich nicht verstanden werden kann. Mir kam die Frage: Wie muss es erst Menschen gehen, die kein soziales Netz haben; die eine Familie versorgen müssen; die kein Attest vorweisen können, weil die richtige Diagnose aussteht? Und sollten sie dann endlich ein Attest über eine Krankheit mit einem langen lateinischen Namen vorweisen können – wer um alles in der Welt kann von dieser Bezeichnung auf das Befinden schließen? So bin ich Mitglied des „Netzwerkes Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen e. V.“ in Deutschland geworden. Alexander Burstein aus Wien und ich haben 2008 in Österreich die erste ausländische Filiale gegründet: die „Regionalgruppe Wien-Marienkron“. Seit 2012 gibt es die Regionalgruppe Linz. Eine weitere in Lienz ist im Entstehen.
Die Linzer Gruppe ist also das jüngste „Kind“? Sr. Mirjam: Ja. Sie wird von Rudolf Hopf geleitet, einem Betroffenen, der regelmäßig zum Austausch in Linz einlädt. Aus diesem Grund findet der „5. Österreichische Patiententag für Menschen mit Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen“ in Linz statt. Und zwar bei den Marienschwestern vom Karmel. Warum gerade dort? Sr. Mirjam: Neben John F. Kennedy war eine Karmelitin, die selige Elisabeth von der hl. Dreifaltigkeit, die prominenteste Betroffene. Sie starb 1906 an Morbus Addison. So fand ich, dass die Marienschwestern sozusagen verpflichtet sind, sich für uns zu interessieren. Als ich Sr. Michaela Pfeiffer, die Generaloberin, daraufhin ansprach, war sie sofort interessiert. Eine Schnupperkur in Bad Kreuzen hat mich überzeugt. Und dort entstand die Idee, unsere Jahrestagung im TEM-Kollegium in Linz abzuhalten. Es bietet die Möglichkeiten des Kurhauses ambulant an, sodass man im Alltag ausprobieren kann, ob und welche Anwendungen gut tun.
Brauchten Sie lange, um Ihre Krankheit so annehmen zu können, wie Sie es heute tun? Sr. Mirjam: Ein langer Prozess war für mich der Weg bis zur Diagnose. Seit ich weiß, was mir fehlt, welche Medikamente ich nehmen und wie ich mich verhalten muss, fühle ich mich wohl. Es ist ein permanenter Wackelkontakt und ein Leben im Kartenhaus. Die vorherige Ungewissheit war unheimlicher.
Sie wirken stark in der Krankheit. Erleben Sie auch die „dunklen“ Momente der Angst? Sr. Mirjam: Es ist allenfalls die Stärke der Schwachheit. Am Grund kann man nicht mehr untergehen. Und die Emotionen zu kontrollieren gehört zum Elementarsten, wenn man auf so dünnem Eis lebt. Angst und Ungeduld verschlimmern den Zustand. Vertrauen und sich überlassen, bis dass der Sturm vorübergeht, ist der schnellere Weg. Es ist hart erarbeitet, immer wieder neu zu erringen und hat nichts mit Souveränität zu tun, sondern mit dem Überlebensinstinkt. Ich würde die dunklen Momente passender als Erfahrung der Ohnmacht, der Unsicherheit, des Ausgeliefertseins beschreiben. Sie sind eine Frage der Beziehung, sowohl der menschlichen als auch der zu Gott.
Welche Rolle spielt dabei Ihr Glaube an Gott? Sr. Mirjam: Mein Vater hat mich durch alle Höhen und Tiefen geführt. Meine Grenzen sind seine Zügel. Ich weiß, dass er mich gemacht hat, wie ich bin, weil er mich will, wie ich bin. Und dass er Gründe hat, mich so zu machen. Darum habe ich mich weder mit Symptomen identifiziert noch mit vermeintlichen Diagnosen abgefunden, sondern bin auf der Suche nach den Ursachen geblieben. Die richtige Diagnose habe ich als Heilung erlebt und die Heilung als Auftrag. Und vielleicht ist auch etwas dran an den Worten meiner Mitschwester. Wenn ich wieder mal nicht so kann, wie ich will, tröstet sie mich so: „Der liebe Gott will dir damit nur sagen, dass du ihn auch mal was machen lassen sollst.“ Wie kommt es, dass es Menschen gibt, die mit ihrer Krankheit hadern, während andere sie annehmen können? Sr. Mirjam: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Meine Situation ist privilegiert. Ich habe eine Familie, die immer für mich da ist; habe Freunde, mit denen ich in der Tiefe des Herzens verbunden bin; lebe in einer Gemeinschaft, die mich nicht im Stich lässt. Und der liebe Gott hat mir ein dankbares Gemüt geschenkt. Wie begnadet muss jemand sein, der ohne all das den Weg findet, mit einer Erkrankung zu leben.
Zur Person
Sr. Mirjam Dinkelbach (Taufname: Margot) wurde 1959 in Mülheim an der Ruhr geboren und studierte Theologie in Münster und verbrachte ein Studienjahr an der Benediktinerabtei Dormitio in Jerusalem. 1984 trat sie in Marienkron ein, 1989 legte sie dort ihre Ewige Profess ab. Ab Dezember 2001 wirkte sie als Äbtissin, 2011 trat sie aus dieser Funktion aus gesundheitlichen Gründen zurück.
Von 2003 bis 2007 hat Sr. Mirjam Dinkelbach in der KirchenZeitung regelmäßig in einer Rubrik Anregungen „Für Leib und Seele“ gegeben.
Zum Thema
Die Krankheit
Nebennieren- und Hypophysenerkrankungen werden wegen der zunächst uncharakteristischen Beschwerden und des oft langsamen Verlaufes sehr spät diagnostiziert und behandelt. Unbehandelt können einige Erkrankungen auch rasch zum Tode führen. Die Behandlung erfolgt je nach Erkrankung durch Medikamente, eine Operation oder eine Bestrahlung. Die Dosierung der häufig lebenslang benötigten Medikamente ist individuell sehr unterschiedlich. In jedem Fall sollten Patient/innen von einem Spezialisten (Endokrinologen) behandelt werden. www.glandula-online.de www.hypophyse-nebennieren.at
Patient/innen-Tag
Im Kollegium für Traditionelle Europäische Medizin (TEM-Kollegium) der Marienschwestern in Linz findet am 5. Oktober der 5. Österreichische Patient/innentag für Menschen mit Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen statt. Dieser wird von den Regionalgruppen Linz und Wien-Marienkron veranstaltet. Sa., 5. Oktober 2013, 10 bis 16 Uhr, TEM-Kollegium der Marienschwestern in Linz, Khevenhüllerstraße 23, Tel. 0732/65 24 53, E-Mail: tem-kollegium@marienschwestern.at