Messfeier in deutscher Sprache, Neugestaltung ausnahmslos aller Kirchen – Liturgiewissenschafter Ewald Volgger spricht über die erneuerte Liturgie als das sichtbarste Ergebnis des Zweiten Vatikanischen Konzils vor genau 50 Jahren. Was sind Ihre Erfahrungen mit der Eucharistiefeier? Schreiben Sie der KirchenZeitung.
Ausgabe: 2013/49, Volgger, Bischofssynode
03.12.2013 - Interview: Josef Wallner
AVor 50 Jahren, am 4. Dezember 1963 verabschiedeten die Bischöfe die Konstitution über die Liturgie. Der Linzer Liturgiewissenschafter P. Ewald Volgger erklärt den Geist der erneuerten Liturgie und ihre Verbindung mit Lebensfragen der Menschen.
Von den 9000 Seiten an Vorschlägen, die aus aller Welt vor dem Konzil in Rom eingereicht wurden, betrafen fast 2500 Seiten die Liturgie. Was brannte den Bischöfen unter den Nägeln? P. Dr. Ewald Volgger: Es war vor allem die Sprache der Liturgie. Es sollte eine Sprache sein, die die Menschen verstehen. Dann ging es um die Sichtweise des Priesters und des Volkes, das heißt, um die Frage der aktiven Teilnahme aller Gläubigen an der Liturgie. Dieser Aspekt war bereits vor dem Konzil stark in die Diskussion gekommen und hatte auch schon in Liturgie-Dokumenten von Papst Pius XII. Eingang gefunden. Die Konzilsväter konnten im Bereich der Liturgie auf viele Früchte zurückgreifen. Die Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ hat vielfach die liturgische Entwicklung bestätigt und nicht neu erfunden.
Die Konzilsväter haben Vorgefundenem einen roten Faden gegeben? Volgger: Das Konzilsdokument zeigt das gewachsene Liturgieverständnis auf. Davon ausgehend entwirft es Perspektiven für die Reform. Die konkreten Reformen wurden im Anschluss an das Konzil ausgearbeitet und haben im lateinischen Messbuch von 1970 beziehungsweise 1975 im deutschen Messbuch ihren Höhepunkt gefunden.
„Das steht aber gar nicht im Konzilstext." – Wäre das eine unzutreffende Kritik am Konzil? Volgger: Ja, weil das Konzil eben nur die großen Linien vorgegeben hat und auch nur vorgeben konnte. Die Umsetzung musste in Arbeitsgruppen geschehen. Ein Beispiel dafür ist die Muttersprache im Gottesdienst. Das Konzil hat festgehalten, dass statt Latein im Gottesdienst die Muttersprache verwendet werden kann. Das Konzil hat damit ernst genommen, dass es in den Sprachregionen ein Bedürfnis nach der Muttersprache gibt, hat aber gleichzeitig auch die lateinische Sprache im Blick behalten.In der Praxis ist von Latein im Gottesdienst nicht viel geblieben. In der konkreten Erneuerungsarbeit im Anschluss an das Konzil war für die Bischofskonferenzen die Muttersprache im Gottesdienst selbstverständlich. Das Bedürfnis danach war so stark angewachsen, dass es gar nicht mehr diskutiert werden musste. Aber diese Entscheidung ist im Geist des Konzils. Das ist der Geist des Konzils.Den Sinn der Eucharistiefeier wird mit dem Ruf „Geheimnis des Glaubens“ zusammengefasst. Worin besteht dieses Geheimnis? Volgger: Das Konzil verwendet dafür den Begriff „Paschamysterium“ (sprich: Pas-cha-mysterium). Dieser meint: Gott hat sich in Jesus Christus in einer ganz intensiven Weise den Menschen zugewendet. Jesus ist ein Lebensbeispiel und er gibt sein Leben aus Liebe zu den Menschen. Er geht aber durch den Tod hindurch und Menschen können die Erfahrung machen: Der Herr, der sich ganz für sie gegeben hat, lebt. Das ist die neue Dimension der Glaubenserfahrung: dass sie den Herrn als den von Gott Auferweckten erleben. Das prägt alle liturgischen Feiern, nicht nur die Eucharistie.
Was bedeutet das Fremdwort „Paschamysterium“ für die Mitfeiernden? Volgger: Sie erfahren darin ihr eigenes Lebensgeheimnis. So wie Jesus durch den Tod hindurchgegangen ist und ins Leben geht, so wird jeder, der Gottesdienst feiert und glaubt, in dieses Auferstehungsgeheimnis Jesu hineingenommen.
Über die Mitfeier der Gläubigen sagt das Konzil: Angelpunkt ist die bewusste, tätige Teilnahme, aus der man geistlichen Gewinn zieht. Wie zieht man geistlichen Gewinn aus der Gottesdienstform des Konzils? Volgger: Wer sich auf liturgisches Feiern einlässt, entfaltet das Bedürfnis, in Beziehung mit Jesus Christus zu treten. Wer diese Beziehung erfährt, wird bestärkt. Er geht mit neuer Freude, er geht mit neuer Kraft in den Alltag. Wenn wir Liturgie feiern und den Leib des Herrn empfangen oder die anderen Sakramenten feiern, wird unser Leben aus dem Geiste Jesu heraus gestaltet, genährt und gestärkt.Es gibt aber Menschen, die wollen gar nicht tätig teilnehmen, sondern abschalten, sich ausrasten, aufatmen. Volgger: Das ist ein legitimes Bedürfnis. Das heißt: Es gibt einen Teil der Gemeinde, der aktiv gestaltet, was Liturgie ausmacht. Dabei kommt zum Ausdruck, dass alle Getauften berufen sind, Liturgie zu prägen. Dann gibt es jenen Teil der Gemeinde, der sich hineinnehmen lässt. Tätige Teilnahme meint nicht, dass ich im äußeren Sinne aktiv sein muss, sondern im inneren Sinne. Auch das stille Anteilnehmen ist bereits eine bewusste liturgische Tätigkeit.Bewusste und tätige Anteilnahme heißt also nicht Aktivismus, sondern innerlich offen sein? Volgger: Meines Erachtens ist das die wesentliche Form der tätigen Teilnahme. Denn wenn ich an der Liturgie teilnehme, ohne ganz offen zu sein, kommt das liturgische Geschehen bei mir nicht an. Darin besteht der Dienst des liturgischen Gestaltens: dass Menschen, die mit dieser Sehnsucht nach Aufatmen kommen, sich in den liturgischen Feiern beheimatet wissen. Also nicht Aktivismus. Das führt weg vom eigentlichen Sinn der Liturgie. In der Liturgie ereignet sich Begegnung mit dem auferstandenen Herrn. Das braucht liebende Aufmerksamkeit, auch Ruhe und die Bereitschaft, auf ihn zu hören und sich von seiner Beziehungsgemeinschaft bewegen zu lassen.Interessant ist, dass der Konzilstext über die Liturgie die Liturgie relativiert: Das Tun der Kirche erschöpft sich nicht in der Liturgie, heißt es. Volgger: In der Liturgie erschöpft sich nicht das ganze Tun der Kirche. Damit will die Kirche sagen: Die Liturgie ist eine wichtige Quelle, eine wesentliche Quelle, aber es gibt viele Bereiche darüber hinaus, die vom Geist der Liturgie oder der Gottesbeziehung getragen sein wollen. Kranken zu pflegen,Sterbende zu begleiten, jede Form der menschlichen Zuwendung oder die Umsetzung der Werte des Evangeliums in den konkreten Herausforderungen des Berufsalltags stehen in einer gewissen Ebenbürtigkeit zur Liturgie. Die Liturgie will das konkrete Leben mit der Kraft der Gottesbeziehung füllen. Manche sagen, dass daraus eine Mystik des Alltags erwächst.Gottesdienst und Lebensalltag gehören zusammen ... Volgger: Deswegen beschreibt die Kirche die Liturgie als Quelle und Höhepunkt. Aus der liturgischen Erfahrung heraus wird Alltag gestaltet. Und aus dem Alltag heraus kann man Höhepunktserfahrungen in der Liturgie erleben. Im gemeinsamen Feiern des Glaubens, im Bekennen und im Gebet, aber auch im gemeinsamen Trauern oder Klagen, fühlen sich Menschen aufgehoben. Das bestärkt und motiviert gleichzeitig.Die Liturgie des Konzils wird oft als zu wenig mystisch kritisiert. Volgger: Dieser Kritik kann ich überhaupt nichts abgewinnen. Denn jede Liturgie ist mystisch, das heißt, vom Geheimnis des Glaubens geprägt. Jede Feier ist so anzulegen, dass Menschen Antwort finden können auf die Fragen ihres Lebens und möglicherweise in eine Beziehungserfahrung mit dem Auferstandenen hineingeführt werden – natürlich in einem gesunden Ausgleich von Beten und Singen, von Stille und Andacht, aber auch von lebendigem körperlichem Ausdruck.
Sichtbarstes Zeichen erneuerter Liturgie ist der Volksaltar. Ist er die dem Konzil entsprechende Form des Altars? Volgger: Die Bezeichnung „Volksaltar“ ist nicht richtig. Die Liturgiedokumente sprechen immer nur vom Altar. Der Altar soll die Mitte der feiernden Gemeinschaft sein. Wie sich das im Kirchenraum verhält, ist nicht genau definiert, muss also je vor Ort konkretisiert werden. In einer historischen Kirche verhält sich dies anders als in einer neuen Kirche. Dort kann deutlicher gemacht werden, dass sich die feiernde Gemeinde um den Altar und um das Wort Gottes versammelt. Sie bringt dabei zum Ausdruck, dass sie sich als Gemeinschaft vor Gott versteht. Daher spricht das Konzil auch von den beiden Tischen des Wortes und des Brotes.
Ist es im Geist des Konzils, dass praktisch in jeder Kirche – unabhängig ob gotisch, barock oder modern – ein Altar steht, für den sich die Bezeichnung Volksaltar eingebürgert hat? Volgger: Ja, selbstverständlich.
Auch über die Zelebrationsrichtung des Priesters wurde in jüngster Zeit diskutiert, angestoßen nicht zuletzt durch Papst Benedikt XVI. Was ist die richtige Orientierung des Priesters – zum Volk hin oder mit den Rücken zum Volk? Volgger: Für die erneuerte Liturgie gilt: Die Gemeinde versammelt sich und der Leiter dieser Gemeinde steht der Feier vor, die von einer Gemeinschaftsstruktur geprägt ist. Daher hat der Priester immer eine Funktion in und mit und für die Gemeinde. Wenn ich das ernst nehme, ergeben sich unterschiedliche Orientierungen und Blickrichtungen des Vorstehers. Die erneuerte Liturgie kennt eben nicht nur die Zelebration in eine Richtung, vielmehr gibt es innerhalb der Feier unterschiedliche Ausrichtungen: zum Beispiel das Sprechen in Richtung Gemeinde bei Begrüßung, Lesungen oder Predigt oder aber das Sprechen auf Gott hin, wenn er für und im Namen der Gemeinde betet. Es geht also nicht um die Frage, ob ich als Priester der Gemeinde den Rücken zudrehe.
Papst Benedikt hat mehrmals geäußert, dass in der Liturgie zu viel gestaltet wird. Halten Sie den Vorwurf für zutreffend? Volgger: Ich möchte nicht in derselben Weise zustimmen. Ich sehe, dass es oft Gutgemeintes gibt. Es ist wichtig, dass Liturgie nicht einfach selbst gestrickt wird.Was in der Heiligen Schrift und der Tradition vorgegeben und im Messbuch festgeschrieben ist, muss ich nicht erfinden. Aber ich muss es lebendig umsetzen. Was heißt lebendig umsetzen? Volgger: Das Messbuch gibt viele Freiheiten und gibt auch Aufträge, die Freiheiten zu nützen. Zum Beispiel bei Kindergottesdiensten. Da sagt das Kinderdirektorium: Kinder würden Schaden nehmen, wenn ihnen in der Liturgie immer nur Unverständliches begegnen würde. Die Gestaltenden sind gefordert, die Fassungskraft der Mitfeierenden – nicht nur der Kinder – im Auge zu haben und die entsprechenden Texte zu formulieren. Wenn eine Oration im Messbuch eine für die Feiergemeinschaft zu theologische Sprache – manche sagen weltfremd – spricht, dann kann der Leitende natürlich dieses Gebet in eine verständlichere Sprache bringen.
Haben Sie eine Lieblingskirche? Volgger: Ja, die Kapelle im Kolpinghaus von Meran. Sie ist ein Neuansatz von liturgischer Raumgestaltung. Im Deutschhausturm in Bozen haben wir quasi einen Abendmahlssaal eingerichtet. Auch der beeindruckt mich ebenso wie die romanische Krypta in Marienberg in Südtirol.
Haben Sie eine Erinnerung an einen beeindruckenden Gottesdienst, der Sie geprägt hat? Volgger: Ja, sehr. Da würde ich zwei Gottesdienste nennen. Als 16-Jähriger war ich im Jugendbildungshaus Lichtenburg in Nals und wir haben das Triduum Sacrum gefeiert, also von Gründonnerstag bis zur Osternacht. Wir haben das gesamte Triduum Sacrum selber vorbereitet und in der Gemeinschaft gefeiert. Das hat mich tief bewegt und für das Leben geprägt. Eine weitere frühe Erfahrung ist der Jugendbekenntnistag in Bozen 1980, wo wir mit tausenden von Jugendlichen auf dem Walterplatz von Bozen mit dem Bischof unseren Glauben gefeiert haben.Daneben trage ich ganz viele positive Gottesdiensterfahrungen in meinem Herzen.Können Sie die Fundamental-Kritik von konservativer Seite an der Liturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils nachvollziehen? Volgger: Die ist mir überhaupt nicht nachvollziehbar, lediglich verständlich aus der Struktur von Persönlichkeiten heraus. Die Kritik dieser Personen besteht in dem Vorwurf, dass Kirche ihre Tradition verlassen hätte. Und das trifft absolut nicht zu. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte nichts anderes als zurück zu den Quellen, zum biblischem Fundament und zur Form der Liturgie, wie sie in der jungen Tradition der Kirche verankert war, vor allem in den ersten sechs Jahrhunderten.Was ist noch nicht verwirklicht von der Konzilskonstitution „Sacrosanctum Concilium“? Volgger: Vieles wartet noch auf Verwirklichung. Zum Beispiel bei der Eucharistiefeier. Es ist immer noch schwierig, dass alle Dienste zum Tragen kommen. Oft fehlen wichtige liturgische Dienste. In vielen Pfarrgemeinden fehlt der Antwortpsalm gänzlich oder die Gabenprozession hat noch keinen Platz gefunden. Aber auch in der Feier der Sakramente gäbe es viele Aspekte zu nennen, die immer noch auf Verwirklichung warten, die Krankensalbung, die Feier der Umkehr und der Versöhnung oder die Tagzeitenliturgie.
Impuls
In das Geheimnis Gottes reifen Vor 50 Jahren, am 4. Dezember 1963, wurde am Zweiten Vatikanischen Konzil die Konstitution über die Liturgie verabschiedet. Ein Grund zum Feiern?
Es gibt wirklich etwas zu feiern. Die Kirche hat eine liturgische Form gefunden, die den Menschen heute entspricht. Sie ermöglicht ihnen, ihren Glauben in der Muttersprache zu feiern, das Wort Gottes zu hören und auszulegen.
Dank des Konzils können sich die Gläubigen aufgrund ihrer Taufberufung aktiv in die Gestaltung des Gottesdienstes einbringen. Sie können so selbstverantwortet und – wie ich meine – besser in das Geheimnis der Gottesbeziehung hineinreifen. Die Liturgie des Zweiten Vatikanums bietet Feierformen, in denen Menschen mit ihren Sorgen und Nöten, mit ihren guten Erfahrungen und Freuden Heimat finden. Sie werden in der Feier ernst genommen als Partner, weil das im Sinne Gottes ist. Ich meine, das ist Grund zu feiern. Univ.Prof. P. Dr. Ewald Volgger
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