Jeder hat ein Recht auf Arbeit und Einkommen. Doch für 18 Millionen Menschen in der EU steht dieses soziale Grundrecht nur auf dem Papier. Beim EU-Gipfel in Wien ist die Arbeitslosigkeit ein Hauptthema.Der gemeinsame Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gehört seit kurzem zu den Zielen der EU-Politik. Beim EU-Rat in Wien geht es erstmals darum, festzustellen, wieweit die einzelnen Länder die im November 1997 beim Luxemburger Beschäftigungsgipfel festgelegten Leitlinien in ihren Nationalen Aktionsplänen (NAP) umgesetzt haben und wie das Programm weiterentwickelt werden soll. Für die Leitlinien 1999 hat Österreich ein 21 Punkte umfassendes Papier vorgelegt, das viele Maßnahmen auflistet, aber nur wenig verbindliche Vorschläge macht. Ob dem eindringlichen Appell, eine „EU-Gesamtstrategie für höheres Wachstum und Beschäftigung“ zu entwickeln, auch Taten folgen, ist trotz der starken Ansage von Chirac und Schröder ungewiß. Gudrun Biffl vom Wirtschaftsforschungsinstitut hat die Beschäftigungspläne der EU-Länder durchgearbeitet und findet darin viele wertvolle Ideen und Modelle. Derzeit sei das aber noch eher ein bunter Fleckerlteppich nationaler Bemühungen, was „wirklich fehlt ist eine Makro-Politik für Beschäftigung, ein übernationaler Beschäftigungspakt“. Dazu gehöre eine EU-weite Koordination der nationalen Beschäftigungspolitiken, eine verbindliche Einbindung des Beschäftigungsanliegens in alle Politikbereiche der EU. Dazu müßte die EU aber auch gemeinsame Großprojekte ins Auge fassen. Biffl nennt als Beispiel die Schweiz mit ihrem 30-Milliarden-Franken-Programm für den Ausbau des Bahnnetzes.Kein MusterschülerÖsterreich, so Biffl, gehöre zwar von den Arbeitsmarktdaten her zu den „Musterländern“. Was die konkreten Maßnahmen und Ideen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit betrifft und was die Datenlage zur Überprüfung der einzelnen Schritte angehe, gehöre Österreich eher zu den EU-Nachzüglern. Hans Riedler von der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung in Linz sagt das drastischer: „Bei uns malen die Politiker noch immer gern ein rosa Bild. Anstatt die Anstrengungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und ihrer strukturellen Probleme zu erhöhen, erhöht man den Druck auf die Arbeitslosen. Oder man greift zu Maßnahmen, die die Statistik beschönen. Da werden beispielsweise die AMS-Mittel für Projekte, die erschwert Vermittelbare wieder in Arbeit bringen, gekürzt. Statt dessen verpflichte man diese Leute, einmal im Jahr einen fünfwöchigen Kurs oder eine ebensolange gestützte Beschäftigung annehmen, dann sind sie laut Statistik schon nicht mehr Langzeitarbeitslose. Das macht einen guten Eindruck nach außen, den Betroffenen hilft das aber gar nicht.“ Als weiteren NAP-Schwachpunkt kritisiert Dr. Biffl, daß die von der EU geforderten Maßnahmen zur Förderung von Betriebsgründungen in Österreich weitgehend fehlen. „Wir haben im EU-Vergleich eine hohe Flexibilität bei den Unselbständigen, aber ein völlig erstarrtes System bei den Selbständigen. In Österreich gibt es ein großes Innovationspotential, daß gute Ideen und Patente aber auch verwirklicht werden, scheitert oft an den viel zu umständlichen Behördenwegen, an der mangelhaften Beratung und am fehlenden Risikokapital. Der Druck nimmt zuSteigende Arbeitslosenzahlen kosten Geld. Weil man beim zweiten Sparpaket auch die Kasse der Arbeitslosenversicherung geplündert hat, fehlt dieses Geld. Der Druck auf die Arbeitslosen nimmt zu. Die Zugangsbestimmungen wurden verschärft, und die Zumutbarkeitsregeln werden immer brutaler ausgelegt. Im letzten Jahr wurden 7,5 Prozent der Arbeitslosen für mindestens sechs Wochen das Geld gesperrt, 1990 waren es noch 2,9%. Seit dem Fall des Sondernotstands bis zum 3. Lebensjahr eines Kindes geraten vor allem Frauen unter Druck. „Da kann einem das Herz weh tun, was da mit Frauen und Kindern geschieht“, sagt die Wifo-Expertin Gudrun Biffl. Und Hans Riedler von der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung Linz liefert ein Beispiel: Eine 37jährige Frau schreibt: „Ich habe vor meiner Schwangerschaft immer gearbeitet und würde es auch jetzt gerne tun. Aber mit den Arbeits- und Kindergartenzeiten geht das nicht zusammen. Mir wurde vom Arbeitsamt eine Stelle zugewiesen mit einem Arbeitsbeginn um 7 Uhr. Meine Tochter kann ich frühestens um 6.30 Uhr im Kindergarten abgeben. Da ich kein Auto habe und die Fahrzeit mit dem Bus 45 Minuten beträgt, schaffe ich das nicht. Daraufhin wurde mir für sechs Wochen die Notstandshilfe gestrichen…“EU kümmert sich um ArbeitsloseMit dem Amsterdamer Vertrag wurde die Beschäftigungspolitik erstmals in den Zuständigkeitsbereich der EU übernommen. Bis dahin war sie allein Angelegenheit der Mit- gliedsländer. Im November 1997 hat der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs in Luxemburg Leitlinien für „Nationale Aktionspläne“ (NAP) festgelegt. Bis 15. April 1998 mußten die einzelnen Mitgliedsländer ihre Programme vorlegen. In den Leitlinien des EU-Rates wurden vier Säulen vorgegeben:u Die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit (Vermittelbarkeit) durch gezielte Förderprogramme für Jugendliche und Langzeitarbeitslose und eine Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik;u die Schaffung von Arbeit durch die Unterstützung von Betriebsgründungen, die Entlastung von Arbeitskosten;u die Modernisierung der Arbeitsorganisation (flexiblere Arbeitszeitmodelle, Bildungsurlaube, Abbau der Überstunden u. v. a.);u Chancengleichheit für Frauen und andere benachteiligte Gruppen.