„Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung . . . Jeder noch so kleine Fortschritt ist es wert . . . “ (Hermine Primetshofer, Lehrerin an der Landessonderschule in Hartheim)„Tak“ sagt Bernhard auf die Frage, ob es ihm in der Schule gefällt. Er ist der einzige in dieser Klasse, der redet. „Tak“ heißt „ja“; Bernhard kommt aus Polen. Die anderen vier können zwar nicht reden, aber sie können sich ausdrücken. Sie machen ebenfalls deutlich, daß es ihnen hier bei den Lehrerinnen Hermine Primetshofer und Renate Mair in der 2. Klasse der Landessonderschule Hartheim gefällt. Johannes, sonst im Rollstuhl, darf sich auf dem Bett ausruhen; Renate Mair hält ihm eine Trommel, die er rhythmisch schlägt. Auch Anja, die ihre Berührungszurückhaltung mit Fortdauer der Schule abbaut, kommt nahe und läßt sich ein bißchen nahekommen. Marion sitzt im Rollstuhl, Hermine Primetshofer reicht ihr eine Milchschnitte mundgerecht. Bernhard ist schon „Selbstversorger“, er darf sich Stärkung aus dem Kühlschrank holen. Stärken oder rasten – jede/r, wie es ihr/ihm gut tut. Das dritte „Rollstuhlkind“, Christopher, ist heute schon heimgefahren. Zur Schule mit 6 JahrenSchwerstbehinderte Kinder haben ebenfalls vom 6. bis zum 15. Lebensjahr Schulpflicht, außer der Arzt untersagt aus gesundheitlichen Gründen den Schulbesuch. In begründeten Fällen kann der Schulbesuch verlängert werden. Die Landessonderschule Hartheim – neben der von Gallneukirchen und Peuerbach die dritte in Oberösterreich – können Kinder aus dem ganzen Bundesland besuchen. Hier gibt es zwölf Klassen für 70 schwerstbehinderte Kinder, eine Integrationsklasse mit 16 Kindern und 36 Lehrkräfte. Fünf in einer KlasseEs ist Unterricht, an einem späten Freitag-Vormittag, mitten im Advent. Fünf schwerstbehinderte Kinder werden in dieser Klasse in ihren Entwicklungschancen gefördert. Das heißt: Alle Sinne ansprechen und auf jedes Kind und seine Möglichkeiten entsprechend eingehen. „Die Kinder lernen, sich auszudrücken, was sie wollen. Denn sie sind immer auf Hilfe angewiesen“, sagt Hermine Primetshofer. Dazu hilft auch die Klangstunde, die in der 2. Klasse vor der eingangs beschriebenen Momentaufnahme am Stundenplan stand. Große Instrumente – ein Gong, ein langer hohler „Regenstab“, in der kleiner Schotter rieselt, und eine riesige Schlitztrommel, auf der man sitzend die Vibration spüren kann, – stehen noch in der Klasse. Heimeliger RaumDas Wort „Klasse“ verführt zu einer irrigen Vorstellung; „Garconiere“ wäre richtiger. Es ist eine Raumeinheit mit Tisch und Sesseln wie in einer Wohnung, großem Bett, Kühlschrank und Herdplatte, auf der zweimal in der Woche ein einfaches gemeinsames Mittagessen zubereitet wird. Diese Garconiere-Klasse strahlt Heimeligkeit aus. Die fünf Kinder und ihre zwei Lehrerinnen sorgen dafür. Adventkranz und -kalender, selbstgemachter Fensterschmuck und viele andere Produkte aus eigener Hand schmücken den Raum. Auch ein eigenes Zimmer für visuelle Stimulation, von den Lehrerinnen und Lehrern „Lichterzimmer“ genannt, steht zur Verfügung. Tasten, hören, greifen, sehen, spüren, berühren . . . Den schwerstbehinderten Kindern soll ein Gefühl für ihre Beziehung zu den anderen und den Bezug zur Welt vermittelt werden. Einige werden bei Schulentlaß auch die Grundformen des Lesens, Rechnens und Schreibens können.„Lernen erfolgt über Einbeziehung des Körpers.“ Ohne Nähe geht das nicht. Und ohne Geduld auch nicht. Viele sind nicht selbständig; sie brauchen Hilfe beim Essen und der Körperpflege. Ihnen tun auch manchmal Massagen wohl.Der Unterrichtstag geht dem Ende zu. Die Kinder werden angezogen. Bernhard geht fröhlich weg, Anja leise und unscheinbar. Marion wird mit dem Rollstuhl zum Bus gebracht, vorher schenkt sie den Lehrerinnen erneut ihr Lächeln. Johannes bleibt noch eine Zeit in der Nachmittagsbetreuung. Auch im Hort des Institutes Hartheim ist Betreuung nach der Schule möglich. Eine gelungene Symbiose!Es gibt kaum Kinder, die nicht zur Schule gehen könnenKlassenschülerhöchstzahlen oder Teilungsschlüssel sind Vorgaben, die für die Landessonderschule so nicht gelten. Auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der einzelnen Schüler/innen zugeschnitten ist ihr organisatorischer Rahmen. Was ist ein Erfolg der Schule? Karl Schmiedhuber, seit zehn Jahren Direktor der Schule und vorher zwölf Jahre hier Lehrer, sagt, daß es kaum mehr Kinder gibt, die im schulpflichtigen Alter sind und nicht in die Schule gehen können. Schwerstbehinderte Schüler haben den Entwicklungsstand von Kleinstkindern. Für die Pädagogik ist daher zwischen betreuen und bilden die Grenze schwimmend. Karl Schmiedhuber bringt einen Vergleich: Eltern, die ihr Kleinkind schaukeln, beruhigen, ihm Geborgenheit geben, betreuen das Kind, aber sie bilden es gleichzeitig – auf dem Weg in die Selbständigkeit.Eine Entwicklung, die bei gesunden Kindern rasch abläuft und z. B. im 3. Lebensjahr abgeschlossen ist, kann bei schwerstbehinderten Kindern zehn bis fünfzehn Jahre dauern oder nur zum Teil geschehen. Zum Schaukeln braucht es dann Hilfen, wenn z. B. ein Kind 40 kg wiegt. Zwei Drittel der Schüler/innen der Landessonderschule Hartheim kommen täglich aus der Umgebung. Ein Drittel lebt im Institut Hartheim, das organisatorisch aber nicht räumlich von der Schule getrennt ist.